Nebelsturm
verloben würden. Markus nannte das, was wir in seinem Zimmer gemacht hatten, ›Abschied nehmen‹.«
Es wurde still im Raum.
»Markus ist also Katrines Vater?«
Mirja nickte.
»Er war ein junger Mann auf dem Weg ins Leben … und ich war das letzte Kapitel des alten Lebens. Danach zog er weiter.«
»Er starb aber nicht bei einem Fährunglück, oder?«
»Nein, aber er hätte es tun sollen.«
Wieder kehrte Stille ein. Joakim hörte Livia in der Küche lachen. Es war eine hellere Version des Lachens ihrer Mutter.
»Du hättest Katrine früher erzählen müssen, wer ihr Vater war«, sagte er zu Mirja. »Sie hatte ein Recht darauf, es zu wissen.«
Mirja schnaubte nur verächtlich.
»Uns ging es gut … ich weiß auch nicht, wer mein Vater war.«
Joakim gab auf. Er nickte und erhob sich.
»Wir haben Weihnachtsgeschenke dabei«, sagte er. »Ich bräuch te ein bisschen Hilfe beim Rauftragen.«
»Ulf kann dir tragen helfen«, sagte Mirja und fragte: »Sind die Geschenke für mich?«
Joakim sah hinüber zu ihrem Atelier, das voller heller Sommerbilder war.
»Unmengen«, sagte er.
Fünf Stunden nachdem sie Mirjas Wohnung verlassen hatten, waren Joakim und die Kinder in Stockholm. Dort war es fast genauso kalt wie auf Öland. Die Reihenhaussiedlung, in der Ingrid Westin wohnte, war ruhig und aufgeräumt. Joakims Mutter war das buchstäbliche Gegenteil von Mirja Rambe. Ihr Haus war für den Jahreswechsel pedantisch sauber gemacht worden.
»Ich habe eine Arbeit gefunden«, erzählte Joakim nach dem Abendessen.
»Auf Öland?«, fragte Ingrid.
Er nickte.
»Sie haben gestern angerufen … im Februar fange ich an, als Vertretung für den Werklehrer. Abends und an den Wochenenden kann ich den Hof weiter renovieren. Ich möchte das Waschhaus und den ersten Stock gemütlich machen, damit Gäste dort wohnen können.«
»Hast du vor, an Sommergäste zu vermieten?«, fragte Ingrid.
»Vielleicht«, antwortete Joakim. »Auf Åludden sollten sich mehr Menschen aufhalten.«
Danach verteilten sie die Weihnachtsgeschenke in Ingrids kleinem Wohnzimmer. Joakim gab ihr ein großes langes Paket.
»Frohes Fest, Mama«, sagte Joakim. »Das hier ist von Mirja Rambe. Sie wollte es dir unbedingt schenken.«
Das Paket war fast einen Meter lang und in braunes Papier eingewickelt. Ingrid öffnete es und schaute ihn fragend an. Es war eines der Rohre, die Ragnar Davidsson im Nordturm versteckt hatte.
»Das steckt etwas drin, schau doch mal rein«, forderte Joakim sie auf.
Ingrid drehte das Ende des Rohres zu sich. Sie guckte hinein und zog eine zusammengerollte Leinwand heraus. Vorsichtig rollte Ingrid sie auseinander und hielt sie hoch. Das Ölgemälde war groß und dunkel und stellte eine neblige Winterlandschaft dar.
»Was ist das?«, fragte Ingrid.
»Das ist ein Nebelsturmgemälde«, sagte Joakim. »Von Torun Rambe.«
»Aber … soll ich das behalten?«
Joakim nickte.
»Es gibt noch viel mehr davon, … fast fünfzig Stück«, erzählte er. »Ein Fischer hat die Gemälde vor vielen Jahren gestohlen und in einem der Leuchttürme bei Hof Åludden versteckt. Dort haben sie nun mehr als dreißig Jahre lang gelegen.«
Sie betrachtete das Bild eingehend.
»Was wird es wert sein?«, fragte sie leise.
»Das spielt keine Rolle«, sagte Joakim.
Später gingen Livia und Gabriel mit ihrer Großmutter in den Garten, um aus aufgetürmten Schneebällen kleine Schneelampen zu bauen.
Joakim ging in den ersten Stock seines Elternhauses, vorbei anEthels verschlossenem Zimmer, in dem sie vor vielen Jahren gewohnt hatte. Er betrat sein Jugendzimmer.
Die Poster und einige seiner alten Möbel waren nicht mehr da, aber das Bett und seinen Nachttisch gab es noch. Und seinen uralten Kassettenrekorder. Der schwarze Plastikkörper war nach einem Sturz auf irgendeiner Party eingerissen, aber das Gerät funktionierte tadellos.
Joakim klappte den Deckel hoch und legte eine Kassette in den Rekorder. Er hatte sie vor ein paar Tagen nach Åludden geschickt bekommen. Der Absender war Gerlof Davidsson.
Er machte es sich auf seinem alten Bett bequem und drückte auf den Startknopf. Er wollte hören, was ihm Gerlof zu erzählen hatte.
45
G egen drei Uhr am Silvesternachmittag fuhr Joakim mit der U-Bahn nach Bromma, um seiner toten Schwester ein frohes neues Jahr zu wünschen und um mit ihrem Mörder zu sprechen.
In einem Blumenladen neben dem Bahnhof kaufte er einen kleinen Strauß Rosen und machte sich dann auf den Weg durch die stillen
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