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Neben Der Spur

Neben Der Spur

Titel: Neben Der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Theiss
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ihres Kleids ab.
    »Dann dürfen Sie nachsehen!«
    Sie nimmt das Bild von der Wand, schwingt sich aufs Sideboard, betrachtet in Ruhe die Gesichter. Da ist wieder Gudrun Hepp, hier schon mit Helmfrisur und sichtlich schlechter Laune. Neben ihr unverkennbar de Beer, verklemmt grinsend mit erstem Bauchansatz, und Bärbel Fried mit Fisselmähne, glupschäugig, wenig anders als heute. Karo dreht das Bild um, besieht sich den Rahmen, liest laut vor: »Betriebsausflug zum Donnersberg, im Juni 1981. Das ist schon dreißig Jahre her!«
    »Sag ich ja, erst ein paar Jahre.« Er nickt bedächtig.
    Karo kann nicht anders, als laut aufzulachen.
    Seine Äuglein umgeben sich mit einem Strahlenkranz.
    Karo muss noch eine Praline nehmen. Und dann noch eine.
     
    Sie ist zurück, Hermann. Was sagst du dazu! Als ob nie was gewesen wäre, scharwenzelt sie hier herein, hopst auf die alte Bücherkommode und baumelt mit den Beinen. Genau wie früher! Fragt einem ein Loch in den Bauch und lacht über jeden dummen Scherz. Es ist das gleiche silberhelle Lachen wie damals, im Sommer 36, als wir mit unseren Motorrädern nach Nierstein gefahren sind. Weißt du noch? Sie trug das weiße Kleid mit den Häkelspitzen am Ausschnitt und um die Knie. Der Rock rutschte hoch, als sie auf dem Sozius saß, und ließ ihre schimmernden Strümpfe sehen. Du hast die Augen verdreht und gewitzelt, dass du bei so einem Anblick ja nicht auf den Verkehr aufpassen kannst. Und sie hat dich auf den Mund geküsst und gesagt: Verkehr ist sowieso erst nach der Hochzeit. Dann muss man nicht mehr so doll aufpassen.
    Dabei hat sie so herrlich hell und fröhlich gelacht. Und du hast mitgelacht, Hermann, so unbändig und laut, dass die Leute in der Straße an ihre Fenster getreten sind und die Köpfe geschüttelt haben. Nicht weil ihr Scherz komisch war, hast du gelacht, sondern weil du glücklich warst. So über die Maßen glücklich. Du dachtest, sie hätte dir einen Wink geben wollen. Einen Wink, dass sie dich heiraten würde. Wenn du nur endlich den Mut hättest, sie zu fragen.
    Rosa! Alle haben dich um sie beneidet. Dass sie Jüdin war, wussten wir damals noch nicht. Oder war es noch nicht wichtig?
    Wie schön sie immer noch ist! Die meergrünen Augen, die fein geschwungene Nase, der üppige Mund – und doch sieht man ihr an, was sie erdulden musste. Abgemagert ist sie, blass, zittrig, ängstlich. Ihre herrlichen schwarzen Locken hat man ihr mit einer stumpfen Schere abgeschnitten, unebene Zipfel stehen vom Kopf ab, alles Haar ist verklebt wie lange nicht gewaschen. Ein zerschlissenes graues Kleid trägt sie. Sträflingskluft. Und eine eintätowierte Lagerbezeichnung: AC/DC. Diese elenden Nazischweine! Nichts ist ihnen heilig, nicht einmal die Schönheit einer so jungen Frau.
    Sie möchte jetzt Karola genannt werden, stell dir das vor, Hermann. Karola, das ist gut! Das ist ein zweifelsfrei germanischer Vorname. Und wir werden sie nicht verraten. Nein, nicht noch einmal verraten. Wir werden sie aufnehmen. Gudrun wird sich darum kümmern. Wir sind ihr so viel schuldig, nicht wahr, Hermann, so viel schuldig. Sie soll sich satt essen dürfen, wir werden ihr die Haare legen lassen und elegante Kleider für sie bestellen. Die Tätowierung lassen wir entfernen. Das ist möglich heute. Wir übernehmen die Kosten. Das ist gar keine Frage!
    Was faselst du da, alter Kretin! Siehst wieder Gespenster. Immer siehst du die alten Gespenster. Es kann nicht Rosa sein. Rosa ist tot! Wenn Rosa leben würde, wenn sie das alles überlebt hätte, dann wäre sie jetzt – zweiundneunzig wäre sie dann.
    Oder?
     
    Auch böse Mädchen können nicht immer Nein sagen. Zum Beispiel dann nicht, wenn eine Nachbarin um Begleitung zu einem unangenehmen Termin bettelt.
    »Hab eine schriftliche Vorladung bekommen«, greint Bea und blickt noch düsterer als sonst.
    »Echt? Von der Polizei?«
    »Quatsch, von dem Heim, in dem Mira hockt.«
    Karo lässt sich das geschäftsbriefmäßig im Langformat geknickte Blatt Papier reichen, liest und kann nicht anders als den Kopf schütteln. »Das ist doch nichts! Sie fordern dich total freundlich auf, den Elternsprechtag wahrzunehmen. – Warst wohl lange nicht da?«
    »Du hast keine Ahnung, wie das runterzieht, das ganze pflegeleichte Inventar, die Kleckselmalereien, das Gekreische und Gehopse …«
    »Hat man doch in jedem Kindergarten.«
    »Aber es ist nun mal kein Kindergarten«, jammert Bea. »Sind alles große Kinder, die meisten noch älter als Mira. Und

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