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Neben Der Spur

Neben Der Spur

Titel: Neben Der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Theiss
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mürrisch drein.«
    »Ja, der Fotograf wollte es so. Wir mussten todernste Mienen machen, etwa so …« Hermann Hepp zieht die Augenbrauen in die Höhe und spitzt den Mund, gleicht mit einem Mal seiner Nichte Gudrun, wenn sie von der Verpflichtung der Firma gegenüber der biologischen Anbauweise spricht. »Es war ein ungewöhnliches Unterfangen, sich damals von einem Berufsfotografen ablichten zu lassen, wissen Sie. Deshalb haben alle pariert, fast alle …«
    »›Fast‹ alle?«
    Seine kleinen Augen glitzern. Auf der oberen Hälfte seiner faltenzerfurchten Wangen wölben sich zwei rosa Bäckchen. In aller Ausführlichkeit fängt er an zu erzählen, was für ein skurriler Zwerg mit Schnurrbart der Herr Fotograf gewesen sei, wie teuer die Unternehmung kam und wie bemüht daher alle in der Familie waren, ihm zu gehorchen. Außer der kleinen Heidemarie, die in einen Weinkrampf ausbrach, als der Zwerg etwas von Blenden erzählte. Und dass es fast eine Stunde gedauert habe, ehe man den Nachhauseweg antreten konnte.
    Karo hört nur mit halbem Ohr zu, unterbricht ihn endlich: »Und Ihr Bruder?«
    »Wir waren schon älter und verständiger, haben uns nicht gemuckst.«
    »Sie sahen einander sehr ähnlich«, versetzt Karo und zieht wie zum Beweis eines der Fotos hervor, die die erwachsenen Brüder mit leinenen Rucksäcken in typisch rheinhessischer Hügellandschaft zeigen. Die Haare des älteren sind erkennbar dunkler, die Nase des jüngeren etwas kleiner, ansonsten scheinen Zwillingsgesichter in die Kamera zu lachen.
    »Die Aufnahme muss von 1938 stammen, ein Ausflug zur Weinheimer Trift. Das Foto hat ein Freund gemacht.«
    »Was ist aus Ihren Geschwistern geworden?«
    »Heidemarie ist nach dem Krieg mit einem Amerikaner durchgebrannt und irgendwo in Florida gestorben. Aber sie hat uns ja Gudrun dagelassen.« Er lächelt.
    »Und Ihr Bruder ist auch schon tot?« Karo beißt sich auf die Lippen. Im Kontext der Verwandtschaftsbeziehungen eines Hundertjährigen ist ›schon tot‹ ein dämliches Statement.
    »Im Krieg gefallen. Vermutlich anno 44 auf der Insel Krim.«
    »Das muss ein Schock für Sie gewesen sein.«
    Er nickt.
    »Ist er freiwillig in den Krieg?«
    »Damals war nichts freiwillig. Alles war Zwang, mal offen, mal verdeckt. Man musste einen sehr starken Charakter haben, um zu widerstehen.«
    »So wie Sie?«
    Er macht den Mund auf, als wolle er reden, schließt ihn wieder, sinniert vor sich hin.
    »Ich habe auch einen toten Bruder – Verkehrsunfall«, lügt Karo, schon immer Einzelkind. »Es tut mir heute leid, mit ihm gestritten zu haben.«
    Der Senior senkt die Lider, verknotet die Hände und schweigt.
    »Unter Geschwistern gibt es oft Streit. Bei Ihnen sicher auch«, sagt Karo in der Hoffnung, dass er nun endlich ein paar aufschlussreiche Bemerkungen über seinen braunen Bruder fallen lässt.
    Stattdessen schüttelt Hermann Hepp traurig den Kopf. Seine Gesten geraten ebenso fahrig wie sein Tonfall. »Wir haben uns nie gestritten.«
    »Nie?«
    »Als Kinder kaum, als Erwachsene nie.«
    »Und diese Fotos stammen vom gleichen Ausflug?« Karo weist auf die Aufnahme der Wandergruppe.
    »Ja, das war wohl der gleiche Tag.«
    »Das war 1938? Aber niemand trägt eine braune Kluft.«
    »Nein, an dem Tag nicht.«
    »Die Uniformen waren vielleicht in der Wäsche?«
    Er grinst boshaft. »Manche hatten keine. Sie waren nämlich Juden.«
    »Juden – ist das wahr?«
    Er nickt, atmet schwer. »Zum Beispiel der hier: Joachim Blum. Und hier: Wolfgang Blum.« Er deutet auf zwei dunkelhaarige Männer in heller Sommerkleidung, der eine lacht frech in die Kamera, der andere steht mit ernster Miene am Rand.
    »Und sie?« Karo deutet auf eine junge Frau zwischen den Hepp-Brüdern. Sie trägt die dunklen Haare hoch aus der Stirn gekämmt, ab Ohrhöhe zu Schillerlocken gedreht, neigt den Kopf kokett zur Seite.
    »Das war Rosa. Rosa Blum.«
    »Rosa Blum? Was für ein witziger Name. Manchmal nennen Sie mich auch Rosa, aus Versehen.«
    »Oh! Dann entschuldigen Sie einen senilen alten Mann. Das kommt daher, dass Sie mich an sie erinnern.«
    »Das nehm ich glatt als Kompliment. Sie war ja wahnsinnig hübsch. Sie haben sie geliebt, stimmt’s?«
    »Nein, nein, das nicht. Rosa war mit meinem Bruder verlobt.«
    »Waren Sie da nicht neidisch auf Ihren Bruder?«
    »Nein.«
    »Kein bisschen?«
    »Wo denken Sie hin!« Die Stimme des Seniors gefriert. »Die Verlobte meines Bruders hätte ich nicht angerührt. Nicht einmal in Gedanken.«
    Mit einem

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