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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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Hütte.«
    Till kniff die Augen zusammen und blinzelte gegen das Schneetreiben, doch er konnte nichts erkennen.
    »Zu der Hütte zu reiten ist keine gute Idee«, meldete sich Wallerich aus seinem Korb am Sattelknauf zu Wort. Er hatte die kleine Karte hervorgeholt und studierte sie im Licht einer winzigen Laterne, die Birgel hielt. »Da!« Er deutete mit dem Finger auf das Pergament. »Hier ist zwar nur noch ein Fettfleck …« Er warf Birgel einen finsteren Blick zu. »Sieht so aus, als hätte jemand die Karte mit Wurstfingern gepackt! Wenigstens ist die Beschriftung noch zu erkennen. HH.a.H.u.G.! Das bedeutet Ärger. Wir sollten sehen, dass wir weiterkommen, bevor sie uns bemerkt!«
    »HH.a.H.u.G.?«, fragte Till. »Was soll denn das schon wieder heißen? Und wer wohnt in der Hüte, der uns nicht bemerken soll?«
    »Wozu habt ihr Langen eigentlich euren Riesenkopf, wenn ihr nicht einmal die einfachsten Kürzel begreift?«, murrte der Heinzelmann und faltete die Karte wieder zusammen. »HH.a.H.u.G. bedeutet natürlich Hexenhaus aus Hänsel und Gretel! Glaub mir, es wäre keine gute Idee, bei der alten Vettel zum Abendessen vorbeizuschauen. Sie hat sehr befremdliche Vorstellungen von Gastfreundschaft.«
    »Du meinst, da hinten lebt die Kinderfresserin aus diesem Märchen der Brüder Grimm?« Gabriela beugte sich ein Stück im Sattel vor und schirmte mit der Linken ihre Augen ab, um besser sehen zu können.
    »Die frisst nicht nur Kinder.« Birgel blies die Kerze in seiner Laterne aus. »Die mag im Grunde alles, was auf zwei Beinen durch die Welt läuft. Könnten wir jetzt bitte weiter? Es heißt, dass sie Heinzelmänner eine halbe Meile gegen den Wind riechen kann.«
    »Das sind doch nur Märchen, um Kinder zu erschrecken!« Gabriela lachte. »Ich wette, da hinten steht eine ganz normale Hütte und kein Lebkuchenhaus.«
    »Und Märchen sind hier Wirklichkeit. Wann geht das endlich in deinen Dickschädel, du störrisches Weibsbild!«, fluchte Wallerich. »Nichts als Ärger hat man mit dir! Es dauert höchstens noch eine Stunde, bis wir den Faselfarnwald erreicht haben. Du wirst jetzt keinen Mist bauen!«
    »Und du zu klein geratener Patriarch wirst mir nicht vorschreiben, was ich zu tun habe!« Die Tänzerin gab ihrem Pferd die Sporen.
    »Haltet diese Furie auf!«, zeterte Wallerich, während sich Birgel unter der Decke in seinem Körbchen verkroch.
    Als die Ui Talchiu die Tänzerin einholten, hatte diese schon längst das Hexenhaus erreicht. Es war tatsächlich ganz aus Lebkuchen und Zuckerguss gefertigt. Durch die mattweißen Scheiben aus Zuckerplatten fiel gelbes Licht. Rings um die Hütte waren etliche Warnschilder aufgestellt mit Schriftzügen wie: Das Betreten des Grundstücks ist für Erwachsene verboten. Oder: Letzte Warnung an vorwitzige Blütenjungfern! Im Dachgebälk lauern katzengroße Spinnen! Am unheimlichsten jedoch fand Till ein Schild, das in Form und Schriftzug an eine längst vergangene Medienkampagne erinnerte: Ein Herz für Kinder!
    Gabriela hatte bereits etwas von einer Lebkuchendachschindel abgebrochen und kaute auf beiden Backen. Sie warf Rolf ein Stück von dem Gebäck zu. »Das solltet ihr alle mal probieren! Schmeckt klasse!«
    Da rief eine feine Stimme aus der Stube heraus: »Knusper, knusper, kneischen, wer knuspert an meinem Häuschen?«
    Almat lachte. »Das ist ja wirklich wie im Märchen!«
    »Nur dass wir keine Kinder mehr sind«, murmelte Rolf und legte die Hand auf den Schwertgriff. »Ich glaube, die Alte wird gleich eine gehörige Überraschung erleben.«
    »Macht keinen Unsinn«, flüsterte Birgel unter der Decke im Korb. »Die Hexe ist …« Noch bevor er den Satz vollenden konnte, rief Gabriela die Märchenantwort auf die Frage der Hexe: »Der Wind, der Wind, das himmlische Kind!« Gleichzeitig brach sie eine weitere Schindel vom Dach.
    Die Tür zur Hütte schwang auf. Ein breiter Lichtstreifen schnitt durch die Finsternis. Im Eingang stand eine alte, auf einen Krückstock gestützte Frau, auf deren Schulter ein Rabe kauerte. Sie trug ein Kleid aus grobem, schwarzem Wollstoff und hatte ein besticktes Tuch um den Kopf geschlungen. »Wenn ihr glaubt, ihr könnt eine allein stehende Frau in den besten Jahren verscheißern und euch hier auf meine Kosten den Bauch voll schlagen, dann habt ihr euch geschnitten! Habt ihr eine Ahnung, was für eine Arbeit es ist, das Haus bei Wind und Wetter in Schuss zu halten und dafür zu sorgen, dass das Gebäck appetitlich bleibt! Das hier ist keine

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