Nebenan: Roman
Rückzug anzutreten, falls etwas schief geht. Im Übrigen ist das Gelände hier offener. Wir werden schneller vorankommen.«
»Wo ist denn dieser Faselfarnwald, zu dem ihr uns führen sollt?«, fragte Till.
Wallerich deutete auf eine Hügelkette, die nur ein paar Kilometer vom Fluss entfernt war. »Hier, in der Nähe der Löwenburg. Wenn ihr euch ein bisschen ranhaltet mit dem Trockenwerden und wir hier nicht noch ewig herumsitzen, dann können wir den Wald noch diese Nacht erreichen.«
»Für so ’nen kleinen Mann hast du ’ne ganz schön große Klappe«, murrte Almat. »Was hast du es denn so eilig? Ob wir heute oder morgen in dem Wald ankommen, ist doch wohl egal.«
»Habt ihr die Totenköpfe auf der Karte schon vergessen? Im Gegensatz zu euch weiß ich, was uns hier erwartet. Und je schneller wir verschwinden, desto besser ist das für uns alle!«
*
Till zog fröstelnd seinen Umhang enger um die Schultern und fluchte stumm. In den letzten Stunden hatte sich das Wetter drastisch verschlechtert. Von Süden her trieb ein eisiger Wind erste Schneeflocken vor sich her. Tills Gesicht und Hände waren taub vor Kälte. Er hatte das Gefühl, dass in dieser Welt alles intensiver war. Es war hier nicht nur ein bisschen kalt und windig, sondern es wehte gleich ein wahrhaft arktischer Sturmwind. Dass eine solche Witterung im November in diesen Breiten noch völlig unangemessen war, schien den Wind nicht im Mindesten zu stören. Mit störrischer Beständigkeit blies der Sturm der kleinen Reitergruppe ins Gesicht und Till hätte sein Pferd darauf gewettet, dass, sobald sie eine andere Richtung einschlagen würden, auch der Wind drehen würde, um sie erneut zu quälen.
Nachdem sie die Ruine verlassen hatten, waren die Ui Talchiu dem Rat Wallerichs gefolgt und das Ufer entlanggeritten. Keine hundert Schritt vom Fluss entfernt begann ein dichter Wald, der ihnen gleich einer schwarzen Mauer den Weg nach Osten verstellte. Nur hier und dort hatten sumpfige Wiesen schmale Breschen in das Gehölz geschlagen. Nirgends gab es Anzeichen von Besiedlung. Das Land war wild und ursprünglich. Über dem Rhein segelten einige Möwen im Sturmwind, ansonsten zeigte sich kein Lebewesen.
Die blassrote Sonnenscheibe war schon fast hinter dem Horizont verschwunden, und während von Osten her der Schatten der Nacht nach dem Wald griff, ballten sich vor ihnen die Sturmwolken zu einem schwarzen Gebirge, das den Horizont ausfüllte.
Till fühlte sich elend. Obwohl er erst höchstens drei oder vier Stunden im Sattel saß, waren seine Beine verkrampft und sein Hintern fühlte sich an, als habe ihm ein Sadist die Haut vom Fleisch geschält. In Fantasyromanen hatten die Helden nie solche Probleme! Warum zum Teufel musste das Schicksal sie nur mit derlei Banalitäten quälen!
Auch den anderen ging es nicht besser. Almat und Rolf waren jeweils mindestens ein halbes Dutzend Mal aus dem Streitwagen gefallen, bevor sie sich halbwegs daran gewöhnt hatten, auf der schwankenden Plattform zu stehen. Till hatte den Verdacht, dass sich die beiden Hengste Macha und Sainglu einen Spaß daraus machten, durch Wegfurchen und über im Gras versteckte Steine zu preschen, damit ihre neuen Besitzer im Streitwagen auch ordentlich durchgeschüttelt wurden.
Nur Gabriela schien das alles nichts auszumachen. Sie war die Einzige von ihnen, die wirklich reiten konnte. Selbst das Wetter schien sie nicht weiter zu stören. Seit sie die Ruine verlassen hatten, hielt sich die Tänzerin abseits der anderen. Meist ritt sie ein Stück voraus. Angeblich um den Weg auszukundschaften. Doch das war wohl nur eine Ausrede, um allein zu sein.
Mit ihrem wehenden Umhang aus Rabenfedern und in schwarze Gewänder gehüllt war Gabriela auf dem großen Rappen, den sie ritt, ein Furcht einflößender Anblick. Den gae bolga , ihren mit Widerhaken versehenen Speer, hatte sie quer vor sich über den Sattel gelegt. Hätte Till es nicht besser gewusst, er hätte sie für eine der Kreaturen dieser fremden Welt gehalten. Besser als alle anderen Ui Talchiu passte sie hierher!
Während Till sie beobachtete, zügelte sie plötzlich ihren Hengst und hob die Rechte, um auch den anderen ein Zeichen zum Halten zu geben. Till lenkte seine Stute an ihre Seite, während Almat vergeblich fluchend versuchte den Streitwagen zu bremsen.
Die Tänzerin deutete auf eine breite Lichtung, die sich vom Ufer fort in den Wald erstreckte. »Dort hinten brennt ein Licht am Waldrand. Ich glaube, da ist eine
Weitere Kostenlose Bücher