Nebenan: Roman
Futterkrippe für Vagabunden! Ihr werdet jetzt absteigen und mir drei Klafter Holz als Schadensersatz hacken, dann dürft ihr euch verpissen!«
»Huh, warum habe ich nur keine Angst, Muttchen?«, spottete Rolf.
»Vielleicht weil du ziemlich dumm bist?«, entgegnete die Hexe grimmig und stieß ein tiefes, kehliges Knurren aus. Sogleich erklang aus dem Wald um die Lichtung vielstimmiges Wolfsgeheul zur Antwort.
Tills Stute schnaubte unruhig.
»Normalerweise überlasse ich meinen Kleinen nur Knochen und andere Abfälle, aber diesmal können sie ruhig Ross und Reiter haben!« Die Alte stieß ein keckerndes Lachen aus.
Rolf stieg vom Streitwagen und zog seine beiden Schwerter. »Du wirst jetzt brav deine Schoßhündchen zurückpfeifen, oder …«
Die Hexe schnippte mit den Fingern. Ein Besen sauste unter der Dachtraufe hervor, verpasste dem falschen Cuchulain einen Hieb, der ihn von den Beinen riss, und sauste auf Gabriela zu. Stahl blitzte auf. Ein trocknes Splittern erklang – und der Hexenbesen fiel zerbrochen in den Schnee. Die Tänzerin hatte so schnell mit der breiten, widerhakenbesetzten Speerspitze zugeschlagen, dass Till nicht einmal die Bewegung richtig gesehen hatte. Keinen Herzschlag später bohrte sich der Speer kaum einen Fingerbreit neben der Kehle der Hexe in die Tür aus Spritzgussgebäck.
»Ihr!«, keuchte die Alte und starrte mit entsetzensweiten Augen zu Gabriela. »Ich hatte Euch nicht bemerkt, Erhabene. Bitte verzeiht mein ungebührliches …«
Die Tänzerin schnitt ihr mit einer knappen Geste das Wort ab. »Wir hätten gerne noch etwas Proviant, wenn es keine Umstände macht. Dann reiten wir weiter.«
»Selbstverständlich, edle Morrigan. Wenn ich Euch die Printen vom Schornstein empfehlen dürfte. Ich hole auch gern etwas von dem Marmorkuchen, mit dem meine Waschstube ausgelegt ist. Der ist wirklich exzellent! Und dann wäre da noch Nussgebäck … Ihr seid doch sicher zum Thing am Drachenfels unterwegs. Darf ich euch vielleicht ein Nachtquartier anbieten, Erhabene. Es wird sicherlich noch einen schrecklichen Sturm geben. Mein Hütte ist größer, als sie von außen aussieht.«
»Etwas Gebäck genügt uns«, entgegnete Gabriela einsilbig, während Rolf sich aufrappelte, der Alten einen finstren Blick zuwarf und sich den Schnee von den Kleidern klopfte.
Die Hexe holte aus dem Haus eine Leiter, die aussah, als sei sie aus Baumkuchenstücken zusammengesetzt, und beeilte sich aufs Dach zu klettern. »Seid Ihr sicher, dass Ihr nichts vom Schornstein probieren wollt, Erhabenste? Ohne mich selber loben zu wollen muss doch gesagt sein, dass mir die Printen ganz ausgezeichnet gelungen sind.«
»Sag schon Ja«, flüsterte Birgel unter seiner Decke. »Und wenn sie noch mal vom Marmorkuchen anfängt …« Till versetzte der Decke einen Klaps, dort, wo er den Kopf des Heinzelmanns vermutete. Das fehlte gerade noch, dass der verfressene kleine Kerl mit seinen Sprüchen ihre Tarnung auffliegen ließ.
Die Hexe kam indessen wieder die Leiter hinuntergeklettert und reichte Gabriela ein in eine Spitzendecke eingeschlagenes Päckchen mit Lebkuchendachziegeln. »Ich hab im Ofen noch ein bisschen Weihnachtsgebäck, edle Morrigan. Wenn Ihr vielleicht noch eine Stunde auf ein Tässchen Kräutertee hereinkommen wollt?«
Bei dem Gedanken daran, was die Hexe sonst in diesem Ofen zu backen pflegte, lief es Till eiskalt den Rücken herunter. »Wir müssen weiter, Herrin«, sagte er mit belegter Stimme.
Gabriela warf ihm das Päckchen mit den Lebkuchen zu. Dann saß sie ab und zog den gae bolga aus der Tür des Hexenhauses.
»Dass ich Euch einmal leibhaftig begegnen durfte!« Die Hexe strich mit ihren knochigen Fingern über den Rabenfederumhang der Tänzerin. »Wisst Ihr, Ihr habt unsere Sache so viel weiter gebracht! Eine düstere Frauengestalt von Euren Fähigkeiten! So zu sein wie Ihr, davon können wir Märchenhexen nur träumen. Wir schneiden immer nur schlecht ab in unseren Geschichten, werden verbrannt, zerrissen oder sonst was. Ich sag Euch, Erhabenste, das schlägt einem auf die Seele. Hier hat niemand richtig Respekt vor uns. Wir Hexen aus dem bergischen Land haben deshalb eine Selbsthilfegruppe für Hexen mit Minderwertigkeitskomplexen gegründet. Wir treffen uns immer mittwochs. Vielleicht könntet Ihr ja auf einem unserer Treffen …«
»Sehe ich aus, als hätte ich Minderwertigkeitskomplexe?«, fragte die Tänzerin eisig.
»Aber nicht doch, Allerprächtigste!«, beeilte sich die Hexe in
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