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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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hinter der Schneekönigin. Das Felsgestein hatte begonnen matt zu leuchten. Von der Farbe und der rauen Oberflächenstruktur her sah es aus, als halte man eine schwache Glühbirne hinter dickes Pergamentpapier. Doch mit jedem Herzschlag wurde das Leuchten stärker.
    »Beim falschen Bart von Rübezahl«, murmelte Oswald und wich ein wenig zurück.
    »Was?«, herrschte ihn die Schneekönigin an, die noch immer glaubte, dass man sie anstarren würde. Hellblaue Zornesflecken zeichneten sich schwach unter ihren gletscherweißen Wangen ab. Mit einer hektischen Bewegung wischte sie ein eingebildetes Staubkorn von ihrem Gewand.
    Auch vom Nachbartisch starrte man jetzt zu der Wand hinter der Schneekönigin. In dem matten Licht zeichneten sich zwei Schatten ab, die immer größer wurden. Plötzlich steckte ein Mann mit Perücke seinen Kopf aus der Wand. Im nächsten Augenblick trat er ganz heraus. Ihm folgte eine junge, rothaarige Frau.
    Till wandte hastig das Gesicht ab. Mariana! Was zum Teufel tat sie hier?
    »Cagliostro!«, erklang die unverkennbare Stimme des Drachen. »Bei den alten Göttern, auf was für einem Weg bist du in meine Halle gelangt?«
    Der Perückenträger zog seinen reichlich mitgenommenen Dreispitz und verbeugte sich formvollendet. »Eure Exzellenz, ich bin entzückt Euch mitteilen zu können, dass unsere Mission hinter den feindlichen Linien ein Erfolg war. In einem wahren Husarenstreich haben wir das Elfenbein erbeutet. Und wir haben uns erlaubt ein völlig neues Portal zu erschaffen, von dem die Heinzelmänner noch nicht wissen, wo es liegt. Mithilfe meiner äußerst begabten Assistentin werden wir auch von dieser Seite den Durchgang öffnen, dort, wo wir aus dem Fels getreten sind. Dann sind wir im Besitz eines eigenen Tores und die Invasion in die Welt der Menschen mag beginnen! Tragt die Kunde nach nah und fern! Das Joch der Zwergenvölker ist abgeschüttelt!«
    In der Halle brach unbeschreiblicher Jubel los, während die Ui Talchiu sich vorsichtig in Richtung des Höhlenausgangs zurückzogen. Zwei Baummänner hatten den Perückenträger und Mariana auf ihre knorrigen Schultern genommen und trugen sie zu der Felsnische, in der der Drache ruhte. Baldur, der wieder Werwolfsgestalt angenommen hatte, tanzte freudig kläffend um die beiden Baummenschen herum und hob in seiner Begeisterung sogar das Hinterbein, um einem Waldschrat auf die fein verästelten Wurzelfüße zu pinkeln.
    »Wohin so schnell?«, erklang die eisige Stimme der Schneekönigin hinter Till und bei ihrem kalten Atemhauch stellten sich ihm sämtliche Nackenhaare auf.
    »Wir müssen die Pferde versorgen, damit sie nicht die untoten Wächter auf dem Hof anknabbern«, erklärte Oswald. »Die Pferde meiner Freunde haben einen etwas ausgefallenen Geschmack, Eure Hoheit.«
    Till nickte eifrig mit dem Kopf.
    Inzwischen hatte Mariana das Lager des Drachen erreicht. Mit triumphierendem Lächeln ließ sie den Blick über den Saal schweifen und grüßte die versammelten Fabelwesen mit einem lässigen Winken. Plötzlich hielt sie inne, zupfte den Perückenträger am Ärmel und zeigte in Richtung des Ausgangs.
    »Pferde, die Fleisch fressen?«, fragte die Schneekönigin. »Was seid ihr nur für Barbaren!« Zum ersten Mal schwang etwas wie ein Hauch von Bewunderung in ihrer Stimme.
    »Wenn Ihr uns bitte entschuldigen würdet, Majestät. Die Pferde werden wirklich unberechenbar, wenn sie zu lange nichts zu fressen bekommen haben.« Till packte Oswald und zog ihn in Richtung des Ausgangs, als die leise, aber durchdringende Stimme des Drachen erklang: »Wie mir scheint, ist eine gute Bekannte von euch erschienen, nur dass sie geradewegs aus der Welt der Menschen kommt, zu der uns seit Jahrhunderten der Zugang verwehrt ist. Wie erklärt ihr das?«
    »In Irland haben wir eine besondere Abmachung mit den Zwergenvölkern …«, setzte Rolf zu einer lahmen Ausrede an, doch bevor er seinen Satz vollenden konnte, tuschelte Mariana etwas in die spitzen Ohren des Drachen und dieser stieß einen rußigen Schnauber aus.
    »Ergreift die Betrüger!«, ertönte die Stimme des Reptils.
    Einen Herzschlag lang herrschte Stille im Saal. Offenbar unfähig zu begreifen, wie schnell aus Freunden Feinde geworden waren, blickten die Dunklen zu den Ui Talchiu hinüber. Dann brach Gabriela den Bann und versetzte der Schneekönigin einen tüchtigen Kinnhaken. Die weiße Gestalt taumelte gegen die Höhlenwand, verdrehte die eisgrauen Augen und ging zu Boden.
    Die Tänzerin rieb

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