Nebenan: Roman
hastig den Kopf, sodass die Axt in seinem Schädel bedenklich zu wackeln begann.
Die übrigen Ui Talchiu waren indessen aus dem Stall gekommen. »Wir werden doch nicht zusehen, wie du dich ganz alleine zum Helden aufplusterst«, murrte Gabriela.
»Stimmt«, ergänzte Rolf. »Wahrscheinlich müssten wir uns dann noch jahrelang anhören, was für ein toller Hecht du bist. Los, bringen wir die Sache hinter uns!«
Seite an Seite stapften sie durch den hohen Schnee. Als sie den Busch erreichten, konnten sie eine gedämpfte Stimme jammern hören. »Bitte aufhören! Bitte, Malko! Ich sage alles, aber das halte ich nicht mehr länger aus. Bitte!«
»Oswald, Martin, ihr bleibt hier und sichert unseren Rückzug«, kommandierte Gabriela und keiner widersprach ihr. In ihren Spielen hatten sie schon hunderte Male Kommandoaktionen in Feindesland durchgeführt und alles, was nun geschah, erschien seltsam vertraut.
Hinter dem Busch fanden sie den Eingang zu einem Tunnel. Es gab hier keine Wachen. Voraus im Dunkel hörte man das Wimmern Birgels. Geduckt und immer dicht an die Tunnelwand gedrückt eilten sie in die Finsternis. Nach vielleicht zwanzig Schritten erweiterte sich der Gang zu einer kleinen Höhle, die durch eine Blendlaterne erleuchtet wurde. Dort war Birgel an die Wand gekettet. Gerade außerhalb seiner Reichweite stand ein Tisch, auf dem ein verführerisch duftendes Hähnchen angerichtet war. Der Heinzelmann, dem ein eiserner Ring um den Hals gelegt war, hatte die Kette, mit der man ihn an die Wand geschmiedet hatte, bis zum Äußersten gespannt und angelte mit ausgestreckten Armen vergeblich nach dem Brathuhn.
Noch während Birgel sie überrascht anstarrte, trat Almat an seine Seite und presste dem Heinzelmann fest die Hand auf den Mund. Dabei flüsterte er: »Kein Wort. Wir holen dich und Wallerich hier heraus. Aber schrei jetzt nicht herum. Gibt es irgendwelche Wachen im Gang vor uns?«
Birgel schüttelte sacht den Kopf.
Till griff nach der Laterne und winkte Rolf und Gabriela ihm weiter zu folgen. Ein Stück voraus war eine gehässige Stimme zu hören. »Dich bring ich noch zum Reden! Das Messer ist noch immer scharf! Dann werde ich dich halt weiter bearbeiten …«
Der Student beschleunigte seine Schritte. Kurz hinter der Höhle, in der man Birgel gefangen hielt, machte der Tunnel eine scharfe Biegung und erweiterte sich dann zu einer großen Höhle. Fast in der Mitte der unterirdischen Kammer saß Wallerich. Er war auf einem hochlehnigen Holzstuhl festgebunden und Malko spielte mit einem blitzenden Messer an seiner Kehle. Als der verräterische Heinzelmann die Schritte der Ui Talchiu hörte, drehte er sich erschrocken um. »Was …« Weiter kam er nicht mehr, denn Gabriela hatte ihren schweren Rucksack unter ihrem Umhang gelöst und ihn nach dem Heinzelmann geworfen, der halb von dem ledernen Geschoss begraben wurde. Klirrend schlitterte das Messer über den Höhlenboden.
Till schnitt Wallerichs Fesseln durch. Rund um den Heinzelmann lagen rote Haarsträhnen auf dem Boden. Er hatte ausrasierte Wangen. Nur unter seinem Kinn war noch ein mächtiger Bartkegel übrig geblieben.
»Sagt nichts«, brummte Wallerich ungehalten. »Ihr habt euch verdammt viel Zeit gelassen.« Er strich sich über das Gesicht und schnitt dabei eine Grimasse, als habe er gerade in einen Pferdeapfel gebissen. »Nennt ihr das etwa eine Rettungsaktion?«
*
Der Wind pfiff ihr unter die weiten, flickenbesetzten Röcke, als die Hexe zur Landung auf dem Hof vor der Drachenhöhle ansetzte. Im Grunde war es viel zu kalt zum Fliegen! Sie hatte ihr Gesicht hinter einem dicken Schal verborgen, sodass wenig mehr als ihre Augen zu sehen war.
Hüpfend wie ein tollpatschiger Rabe landete sie im platt getrampelten Schnee vor dem Höhleneingang und wurde von ihrem Schwung noch ein paar Schritte mitgerissen. Scheißlandebahn, dachte sie ärgerlich, als sie um ein Haar der Länge nach hingefallen wäre.
Ein klapperndes Geräusch ließ sie herumfahren. Am Tor zum Hof stand Erik und klatschte mit seinen halb skelettierten Händen Applaus. »Tolle Landung, Knuper!«
Sie ignorierte ihn. Mit Toten unterhielt sich eine Hexe, die etwas auf sich hielt, nur in einer Séance!
»Heute Abend schon was vor, Süße?«
Die Hexe ließ ihre steif gefrorenen Finger knacken und drehte sich entgegen ihren Vorsätzen nun doch um. »Das ist wahrhaft eine dufte Idee, seinen Abend mit einem ungewaschenen Untoten zu verbringen.« Sie musterte Erik von Kopf bis Fuß.
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