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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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Heinzelmänner hätten eine Möwe mit Schnabelmikrofon losgeschickt, um Königswinter und den Drachenfels auszuspähen. Verrückt, völlig verrückt! Er würde das in seinem Bericht an den Erzbischof erwähnen. Wenn dieses Dokument nach Rom gelangte, würde sich Wschodnilas nach einem neuen Job umsehen können.
    Langsam begann Anselmus sich zu entspannen. Die Baldriantropfen versetzten ihn in einen wohltuenden Entrückungszustand. Das Gekrächze aus dem Lautsprecher und das aufgeregte Tuscheln im Raum waren ihm jetzt egal. In einer Ecke des Raums waren zerschnittene Lederpolster aufgeschichtet worden. Ob er sich dort für einen Moment hinlegen sollte? Ihn beachtete hier ohnehin niemand. Dieser Haufen von Verrückten würde auch gut ohne ihn auskommen!
    Mit schwerfälligen Schritten schleppte er sich zu den Polstern, aus denen gelber Schaumstoff quoll. Es war im Grunde ein Müllhaufen, den er sich dort als Lager auserkoren hatte. Er begann langsam zu verlottern. Heute Morgen hatte ihm Pater Wschodnilas nicht die Zeit gelassen, sich zu rasieren und die Zähne zu putzen. Wo würde das alles nur enden? Bei einer Strafversetzung zu einer Gemeinde in einem entlegenen Eifeltal, wo die Schäfchen seiner Herde ein Durchschnittsalter von sechzig hatten?
    »Pass doch auf, wo du hinlatschst, Langer!«, schimpfte eine Stimme in Kniehöhe.
    »’tschuldigung«, murmelte Anselmus matt und ließ sich mit einem Seufzer der Erleichterung auf den Polstern nieder.
    In der Höhle wurde es lauter. Irgendetwas schien die Lauscher in helle Aufregung versetzt zu haben. Doch was ging ihn das an? Zu gegebener Zeit würde Pater Wschodnilas ihn schon informieren. Vielleicht waren ja gerade ein paar UFOs auf dem Campus gelandet? Anselmus lachte leise in sich hinein. Ob der Inquisitor wohl Drehbücher für Akte X schrieb? Bei seiner blühenden Phantasie wäre das der angemessene Job für ihn!
    Gerade wollte sich der Priester erschöpft zurücklehnen, als er eine flüchtige Bewegung aus den Augenwinkeln wahrnahm. Als er den Kopf drehte, war da nichts mehr. Doch ganz am Rande seines Gesichtsfelds regte sich erneut etwas. Anselmus kniff die Augen zusammen und zählte langsam bis zehn. Als er die Augen öffnete, war für einen Moment alles wieder in Ordnung. Dann gab es eine merkwürdige Wahrnehmungsverzerrung. Es war so, als ob man in der Badewanne seine Beine beobachtet, die an der Grenze zwischen Wasser und Luft nicht mehr recht zusammenzupassen scheinen. Diese optische Täuschung dauerte kaum einen Herzschlag, dann weitete sich das Huschen aus den Augenwinkeln über sein ganzes Gesichtsfeld aus. Überall in der Höhle wimmelten plötzlich kleine Gestalten umher. Geschöpfe mit langen Bärten und seltsamen Mützen, die ein Sammelsurium aus den verschiedenen Hutmoden der letzten zweihundert Jahre zu sein schienen. Dicht neben ihm aber kauerte eine hünenhafte Erscheinung, deren Haut an unbehauenen Granit erinnerte.
    Anselmus schlug ein Kreuz über seiner Brust und begann lautstark ein Vaterunser zu beten. Doch statt die merkwürdigen Geschöpfe zu vertreiben hatte das Gebet genau die gegenteilige Wirkung. Jetzt sahen sich diese albtraumhaften Kreaturen nach ihm um und er stand im Mittelpunkt des Interesses.
    »Wie wir sehen, seid Ihr erleuchtet worden, Pater.« Wschodnilas lächelte breit. »Hat Euch der kleine Brustwärmer geholfen, den wir vorhin bei Euch bemerkten? Bei uns waren es Weihrauchinhalationen, die uns ermöglichten zu sehen, was es alles zwischen Himmel und Erde gibt, wovon uns unsere Schulweisheit nicht einmal träumen lässt.«
    »Das … das gibt es nicht wirklich. Ich … ich habe eine Baldrianvergiftung und phantasiere«, stammelte Anselmus in dem hilflosen Versuch, seine alte Weltordnung zu retten.
    »Kann es sein, dass Ihr nicht alles geglaubt habt, was in der Bibel steht? Es gibt sie wirklich, die himmlischen Heerscharen, genauso wie es den Widersacher und seine dunklen Legionen gibt. Das Böse, Anselmus, das sind nicht nur irgendwelche nigerianischen Menschenhändler, seelenlose Börsenmakler und machtverliebte Generäle. Jetzt, in dieser Stunde, formiert es sich, um zum Angriff auf die christliche Welt zu blasen. Armageddon ist vielleicht nicht mehr fern. Und wisst Ihr, wer in diesem Augenblick sein Leben aufs Spiel setzt, um unserer Sache zu dienen? Eine heldenhafte Möwe! Gerade eben ist die Funkverbindung zu ihr abgebrochen. Vielleicht hat sie ihr Leben im Dienste Gottes gegeben. Alle hier in diesem Raum sind entschlossen

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