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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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meine Hütte steht. Gewiss hat das kleine Volk hier seine zauberkräftigen Steine errichtet.«
    »Wir sind das kleine Volk«, brummte Wallerich missmutig, »auch wenn mir diese Bezeichnung überhaupt nicht gefällt. Und ich kann dir versichern, dass wir mit solchem Hokuspokus nichts zu tun haben.«
    »Dann gibt es hier ein Wesen von großer Macht«, beharrte Oswald. »Oder vielleicht einen Sagendichter, der seine Phantasien vom locus amoenus Wirklichkeit werden ließ.«
    »So wie du in deinem Tal?«, fragte Wallerich.
    »Der Feenstein und all die blühenden Bäume waren schon dort, als ich kam.«
    »Vielleicht waren sie auch da, weil du kommen würdest«, entgegnete der Heinzelmann. »Doch zugegeben, zu deinem Naturell würde eher ein verkommenes Wirtshaus passen als dieser alte Steinbruch.«
    »Was weißt du schon von mir?«, entgegnete der Ritter.
    »Schon viel zu viel«, nörgelte Wallerich. »Mir wäre es auch lieber, wir hätten uns nie getroffen.«
    Schweigend gingen sie weiter, während sich der Wald um sie herum mehr und mehr veränderte. Bald prunkten die Bäume mit leuchtendem Frühlingsgrün und schneeweißen Blüten. Es duftete nach wilden Rosen und Löwenzahn.
    Schließlich erreichten sie eine Lichtung, in deren Mitte ein himmelhoher Baum stand. Seine weit ausladenden Äste trugen zugleich Früchte und zarte rosafarbene Blüten. Manche Zweige waren auch dürr, wie abgestorben. Es schien, als seien alle vier Jahreszeiten zugleich in diesem absonderlichen Baum vereint. Während sie noch staunend auf der Lichtung standen, trat plötzlich eine schlanke Frauengestalt aus dem Stamm. »Till, endlich bist du in Sicherheit!« Die Dryade breitete die Arme aus und lief dem Studenten entgegen, um ihn stürmisch an sich zu drücken. Ein Hauch von Frühling und Apfelblütenduft schien sie zu umgeben. Ihre Küsse ließen Till alle Sorgen vergessen, bis ein lautes Räuspern ihn in die Wirklichkeit zurückholte.
    »Holde Dame, es fällt mir schwer, die sich erfüllende Minne zu stören, doch ich fürchte, dass unsere Verfolger uns nur allzu bald einholen und dass sie weniger Skrupel haben werden, als ich sie habe. Darf ich mich im Übrigen vorstellen, Oswald von Wolkenstein.«
    Neriella löste unwillig ihre Umarmung und musterte die bunte Schar, die Till begleitete. »Ich kann euch beruhigen. Niemand vermag diese Lichtung ohne meine Erlaubnis zu betreten, es sei denn, er besitzt einen Splitter vom Herzen meines Baumes. Doch außer meinem Geliebten habe ich noch niemals jemandem ein solches Geschenk gemacht. Nun folgt mir, ich werde euch nach Hause bringen und …« Sie sah Oswald an und blickte dann zu Wallerich. »Was ist mit ihm? Darf er unsere Welt verlassen?«
    Der Heinzelmann vermied es, zu Neriella aufzublicken, als er antwortete. »Er kann im Moment nicht hier bleiben. Die Dunklen sind nicht so gut auf ihn zu sprechen.«
    »Dann soll er mitkommen. Ihr müsst einfach nur in den Baum hineintreten. Leider bin ich nicht dazu gekommen, aufzuräumen. Ihr kamt etwas überraschend. Schert euch also nicht um das Laub vom Vorjahr und … ach ja, vielleicht fällt es euch leichter, den Baum zu betreten, wenn ihr die Augen schließt, während ihr den Schritt in den Stamm hineinmacht. Falls ihr zu sehr daran zweifelt, dass es möglich ist, einen Baum zu betreten, könnte es sonst zu unschönen Unfällen kommen. Es mit geschlossenen Augen zu versuchen erleichtert die Sache.«
    Abgesehen von Almat, der es erst beim dritten Versuch in den Stamm hinein schaffte, gelang es den Gefährten ohne Schwierigkeiten, der Dryade zu folgen. Als Letzter betrat Till den Baum. Deutlich hatte er zuvor am Rand der Lichtung huschende Schatten gesehen. Fünf oder sechs Alben hatten sie eingeholt. Doch keiner von ihnen hatte es gewagt, die Lichtung zu betreten.
    Als Till in den Baum trat, schien es ihm, als zerrten dünne Äste an seinen Kleidern. Sobald er die Augen öffnete, war er allein mit Neriella. Über ihnen flackerte grünlich das Herz des Baumes. Der Stein war auf kaum mehr als Walnussgröße zusammengeschrumpft.
    »Was ist geschehen?«
    »Nichts, was deine Liebe nicht wieder heilen könnte. Euch von Nebenan hierher zu bringen hat mich sehr viel Kraft gekostet und ich könnte es so schnell nicht noch einmal tun. Ihr wart viele. Mit der Zeit wird der Stein jedoch wieder wachsen. Er ist lebendig, so wie der Baum, der ihn umgibt.«
    Till konnte immer noch nicht begreifen, wie es der Dryade möglich gewesen war, nach Nebenan zu

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