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Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Zwack
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Satix derzeit im Heiligtum des Volkes, neunhundert Jahre also lag das Große Feuer zurück, das die Welt verzehrt hatte.
    Manche meinten, die Versammlung an diesem Abend sei ebenso wichtig wie jene, als das Volk beschloss, die Berge auf der Insel im Norden zu verlassen und in wärmere Gefilde zu ziehen.
Mit großer Macht sprach Undanx der Weise,
Verkündete von saftigen Wiesen
Im Land der Mittagssonne.
Er riet dem Volk zu verlassen die Hütten,
Wo seit fünfzig Stäben die Heiligen Feuer brannten.
     
    Jedes Kind in Luteta musste diesen Teil der Gesänge auswendig lernen, und Undanx wurde wie ein Heiliger verehrt, weil er seinem Volk neue, ergiebigere Weiden verschafft und so dafür gesorgt hatte, dass es dank vorausschauend angelegter Speicher auch harte Winter überstand.
    An diesem Abend stand eine Entscheidung von ähnlicher Tragweite an, eine, die die Zukunft des Volkes für immer prägen würde.
    Seit beinahe zehn Stäben – viele hatten sich angewöhnt, von Jahren zu sprechen, so wie die Anderen das taten –, also seit beinahe hundert Jahren, wussten sie um die Existenz jener anderen Welten, die für die Auserwählten nur einen ›Rutsch‹, einen Lidschlag entfernt waren, und in denen es so viele Menschen gab, dass es in der Sprache des Volkes keine Zahl dafür gab. Menschen, die in unvorstellbarem Wohlstand lebten, beinahe doppelt so lange wie die meisten im Volk, sich in bunte Stoffe kleideten, Gerät aus Holz und Metall besaßen, das viele Arbeiten so leicht machte, dass selbst ein Kind sie bewältigen konnte.
    Von wahren Wundern berichteten die Auserwählten, aber auch von unsagbaren Gräueln. In einer dieser Nachbarwelten war soeben ein Krieg zu Ende gegangen, in dem mehr Menschen gestorben waren, als es Sterne am Himmel gab, ein Krieg, der auf Schlachtfeldern nur wenige Tagereisen von ihren Dörfern stattgefunden hatte, und doch, den Göttern sei Dank, unendlich weit von ihnen entfernt.
    Sentax blickte zum Podium, wo sich die Weisen Männer an einer langen Tafel versammelt hatten, auch Alu Burex, der für die Auserwählten sprechen sollte. Neben ihm hatte No Satix, der Bewahrer der Stäbe, Platz genommen. Als Zeichen seiner Würde war er in ein gegerbtes Kalbsfell gehüllt und erhob sich jetzt, zeigte den Versammelten einen Stab, den erst wenige Kerben zierten, und begann zu sprechen.
    »Im Namen der Götter, die unser Schicksal bestimmen, des heiligen Feuers, das unsere Hütten wärmt und – so die Götter wollen – nie wieder unsere Häuser verzehren möge, sei dieses Treffen des Volkes eröffnet. Die Eintracht im Volk ist gestört, seit es unter uns Männer und Frauen gibt, denen die Götter die Gabe verliehen haben, in die Anderen Welten zu gehen, und die uns Kunde bringen von Wundern, die unseren Verstand taumeln lassen. Immer mehr unter uns entdecken in sich die Fähigkeit, jene Welten zu besuchen, und unsere Jungen träumen von dem besseren Leben mit weniger Mühe, das jene Welten uns versprechen.
    Niemand außer den Göttern weiß, wer diese Fähigkeit in sich trägt, noch ob sie ein Fluch oder eine Gnade ist, aber keiner kann übersehen, wie sie unser Leben verändert.
    Seit Undanx der Große das Volk dazu brachte, die unwirtlichen Berge der Insel im Norden zu verlassen und sich hier im fruchtbaren Tal der Sena niederzulassen, das er mit einer Handvoll Gefährten erkundet hatte, war unser Volk nie so gespalten.
    In den Gesängen heißt es:
Und sprach, es ist Wille der Götter, dass wir ausziehen,
Hinaus in die fremde Welt,
In die die Mittagssonne uns weist,
Zu saftigen Wiesen und Wäldern
Voll Wild und süßen Beeren
Auf dass das Volk gedeihe
Und noch viele Stäbe lang lebe und die Götter ehre.
     
    Die Gesänge künden von großem Zwist in jenen Tagen, von jenen unserer Ahnen, die die Heimat in den Bergen nicht verlassen wollten, wo sich ihre Eltern und Großeltern seit vielen Stäben abgemüht und am Ende eines von Arbeit erfüllten Lebens die letzte Ruhe gefunden hatten. Doch auch sie wussten, dass alle die Entscheidung tragen mussten, dass die Zahl der Menschen zu klein war, als dass das Volk sich eine Spaltung hätte leisten können. Schließlich hatte nur eine Handvoll unserer Ahnen das Große Feuer überlebt, und in den kargen Gefilden auf der Insel im Norden waren Jahr für Jahr vier von fünf Kindern gestorben, sodass das Volk auch nach fünfzig Stäben, fünfhundert Läufen der Sonne also, weniger Menschen umfasste als heute eines unserer sieben Dörfer.
    Heute weilt

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