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Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Zwack
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in Sicherheit gewiegt und uns damit begnügt, die Tradis als einigermaßen harmlose Spinner und Weltverbesserer abzutun.« Wieder nickte er, wie um damit anzudeuten, dass sein Entschluss feststand.
    »Herr Lukas, ich schlage vor, Sie führen Ihr Gespräch mit Mr. Mortimer zu Ende und lassen sich dann meine Überlegungen einmal durch den Kopf gehen. Wir unterhalten uns dann weiter, wenn ich zurück bin. Ich will sehen, dass ich noch heute Nachmittag einen Flug nach Paris bekomme, dann können wir das am Montag im Kabinett besprechen. Und unser Gespräch könnten wir ja am Dienstag fortsetzen. Ich kann mir vorstellen, dass Sie noch einige Fragen haben werden.« Er sah mich an, als erwarte er meine Zustimmung zu seinen Plänen.
    »Worauf Sie sich verlassen können. Übrigens nicht nur Fragen. Was ich da in Ihrem Kellerlabor gesehen habe, hat mich auf eine Idee gebracht. Ich möchte auch im ›Rutsch‹ unterwiesen werden. Vielleicht sind dazu nicht nur die Angehörigen Ihres Volkes fähig …«
    »Das haben wir schon seit vielen Jahrzehnten untersucht, und ich bin recht sicher, dass das ausschließlich eine Fähigkeit von uns Gälern ist. Doch damit will ich Ihre Anregung nicht ablehnen. Lassen Sie uns das beim nächsten Mal diskutieren, ich will so schnell wie möglich nach Luteta.« Er drückte eine Taste an seinem Telefon. »Frau Bergmoser, sehen Sie zu, ob Sie einen Flug nach Paris für mich buchen können. Sonst nehmen Sie den Nachtzug. Danke.« Er wandte sich, ohne Frau Bergmosers Antwort abzuwarten, wieder mir zu. »Wenn Sie hier warten wollen, bis Mortimer aufwacht … Andernfalls lasse ich ihm Bescheid sagen, dass Sie ein anderes Mal wiederkommen. Ich würde hier entsprechende Anweisung hinterlassen. Mich müssen Sie jetzt bitte entschuldigen, ich muss noch ein paar Dinge für meine Reise vorbereiten.«
    Plötzlich hatte ich den Eindruck, mich in Gegenwart eines wichtigen Politikers zu befinden. Die verbindliche Höflichkeit war geblieben, aber dahinter konnte man jetzt die stahlharte Entschlusskraft eines Mächtigen spüren.
     

Jacques Dupont/Obertix
   
35
     
    Ich erwachte mit einem kleinen Ruck aus dem Schlaf und stieß dabei meinen Sitznachbarn an, der gerade seine Kaffeetasse zum Mund führte. Die heiße Brühe schwappte mir auf die Hose, und ich zuckte erneut zusammen. Nachdem ich mich entschuldigt und mithilfe der Flugbegleiterin die Flecken notdürftig entfernt hatte, sah ich aus dem Fenster der Air-France-Maschine und stellte fest, dass wir gerade den Rhein überflogen. Ich malte mir aus, wie sich in diesem Augenblick zehntausend Meter unter mir der Berufsverkehr über die Brücke bei Kehl quälte. Frau Bergmoser hatte keinen Abendflug mehr bekommen, und so hatte ich mich nach einigem Widerstreben für die Maschine um sieben Uhr entschieden, die mir die Gewähr bot, rechtzeitig zur Sitzung um zehn im Ratssaal zu sein. Dazu hatte ich bereits um halb vier aus den Federn gemusst, und so war es kein Wunder, dass ich gleich nach dem Start eingenickt war.
    Eine halbe Stunde später senkte sich unser Vogel auf Paris und ich konnte die im Licht der Morgensonne glitzernden Dächer und Kuppeln der Stadt bewundern, zwischen denen sich wie ein silbernes Band die Seine schlängelte. Ich reiste nur mit einer Aktentasche und saß daher bereits eine Viertelstunde nach der Landung im Taxi, das mich zuerst durch trostlose Industrieviertel, später durch dichtes Verkehrsgewühl und dann durch endlose Häuserschluchten auf die Ile de la Cité trug. Vor einem unscheinbaren Bau in der Rue Christine entließ ich den Fahrer und schloss mir die Wohnung im Parterre auf, die uns als Relaisstation diente. Ein leger gekleideter junger Mann saß vor dem Fernseher und nickte mir zu, als er mich erkannte, und wandte sich gleich wieder den Morgennachrichten zu, während ich mich ins Bad begab, mich vor den Spiegel stellte und mich konzentrierte.
    Der Bau aus dem sechzehnten Jahrhundert stand in wenigstens drei Zeitlinien, der Europa-, der Amerika- und der Germaniawelt, darüber hinaus mutmaßlich in einigen Tausend weiteren Zeitlinien und befand sich auf exakt derselben Stelle, auf der mein Volk vor knapp hundert Jahren mitten in Luteta ein Blockhaus errichtet hatte, nicht ohne vorher die Koordinaten aller Räume millimetergenau zu vermessen und natürlich in den Nachbarzeitlinien die jeweilige Immobilie zu erwerben. Jetzt dienten uns die Häuser als eine Art Verbindungsknoten, den wir nicht nur für den ›Rutsch‹ von

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