Nebenweit (German Edition)
erhob sich und kam mir mit ausgestreckter Hand entgegen. »Obertix, schön dich zu sehen, wie war die Reise?«, begrüßte er mich. Er legte mir dabei den Arm um die Schultern und geleitete mich zu dem einzigen noch freien Sessel im Saal.
Die kehligen Klänge unserer Sprache zu hören tat mir gut, und ich erwiderte den Gruß mit einem förmlichen: »Sei mir gegrüßt, Capo Druidum«, und fügte hinzu: »Und danke, Freund, für die warmen Worte.«
Drei weitere Männer saßen um die Tafel: Solux, ein rothaariger Hüne mit den Händen eines Grobschmieds, verantwortlich für Wirtschaft; Deborax, schmächtig, mit einem auffallenden, roten Hemd bekleidet, das seinen dunklen Teint mit der rabenschwarzen Haarmähne noch auffälliger erscheinen ließ, zuständig für Gesundheit und Medizin; Sardix, dem die Sicherheitskräfte unterstanden und den man in der Anderwelt vermutlich als Innenminister bezeichnet hätte, ebenfalls ein eher drahtiger Mann mit dunklem Teint und schwarzem Haar wie die meisten Angehörigen unseres Volkes.
Alle mit Ausnahme des Bewahrers der Stäbe hatten Jahre in der Anderwelt verbracht, wie es seit gut hundert Jahren die Regel für alle Angehörigen unseres Volkes war, die eine gehobenen Position bekleideten.
»Da der Rat der Druiden nun vollzählig versammelt ist, eröffne ich hiermit die Sitzung mit der Bitte an die Götter, den Anwesenden Weisheit und Einsicht in die Bedürfnisse unseres Volkes, Offenheit für die Meinungen Andersdenkender und Mut zur eigenen Meinung zu verleihen«, sprach No Telux die Eröffnungsformel, die seit den Tagen des großen Undanx vor jeder Versammlung gesprochen wurde.
Alle Anwesenden senkten schweigend das Haupt und verharrten im stummen Gebet, bis Bolax das Wort ergriff: »Unser Freund Obertix, den ich herzlich in unserer Mitte begrüße, hat uns gestern über Telefon eine alarmierende Botschaft zukommen lassen.« Er sprach unsere Sprache, benutzte aber das Wort Telefon, das ebenso wie viele andere Begriffe aus der Anderen Welt Eingang in unsere Sprache genommen hatte. »Ich denke, es ist am besten, wenn er uns seine Erkenntnisse selbst schildert. Zuvor will ich uns alle ausdrücklich darauf hinweisen, dass dieses Gespräch streng vertraulich ist und dass unter keinen Umständen irgendwelche anderen Personen über das hier Gesprochene informiert werden dürfen. Bitte Obertix, du hast das Wort«, schloss er dann, als alle genickt hatten.
Ich stand auf, verbeugte mich knapp vor No Telux und griff nach dem Blatt, auf dem ich noch gestern Abend in meinem Büro in Rosenheim meine Gedanken festgehalten hatte. »Ich will gleich zur Sache kommen und gestehen, dass ich die Grundregeln dieses Rates gebrochen habe. Ich habe einem Bewohner der Anderwelt von unserer Existenz erzählt.« Ich hob warnend die Hand, als ich die erschreckten Gesichter meiner Kollegen sah, und hinderte sie damit daran, mir ins Wort zu fallen. »Hört erst, was ich euch berichten werde. Dann werdet ihr mir zustimmen, dass ich keine andere Wahl hatte …«
Ich berichtete von der Kontaktaufnahme Bernd Lukas’, dem Geschick, mit dem er sich gegen irgendwelche Maßnahmen unsererseits gesichert hatte, und den diversen Gesprächen, die ich mit ihm geführt hatte. »Ich habe ihm nicht die volle Wahrheit offenbart, mich nur sehr knapp und mehrdeutig über den Konflikt mit den Traditionalisten geäußert und ihn in dem Glauben gelassen, unser Volk verfolge mit Ausnahme der Tradis gegenüber den Anderwelten eine einheitliche Politik.
Der Mann ist hochintelligent, weit gereist und hat Beziehungen zu journalistischen Kreisen. Ihr könnt mir glauben, Lukas hätte alle Hebel in Bewegung gesetzt« – wieder eine Metapher aus der Anderen Welt, das merkte ich an der Reaktion meiner Zuhörer, also verbesserte ich mich –, »alles unternommen, um unserem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Dieser Lukas ist ein ganz besonderer Fall, schließlich ist in den über zweihundert Jahren, die wir jetzt von den Anderen Welten wissen, noch keine einzige Versetzung eines Anderweltlers berichtet worden. Und Lukas weiß um drei solche Fälle und hat mit zwei Leuten gesprochen, die beide aus seiner, also der Amerikawelt kommen.«
Ich schilderte den Kollegen, was ich über Mortimer wusste und Lukas mir über seine Japanreise erzählt hatte, und konnte die Erregung im Raum beinahe körperlich spüren.
Besonders No Telux, der noch nie gerutscht war und die Anderwelten nur aus unseren Berichten und Erzählungen kannte, sah mich mit
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