Nebenweit (German Edition)
Erkenntnisse und die vielen Nicht-Erkenntnisse, die sich daraus ableiteten, eine derart große psychische Belastung gewesen, dass sich das auch physisch auf mich ausgewirkt hatte. Und das, obwohl ich sonst schlecht schlief, wenn ich vor dem Schlafengehen irgendwelche Probleme gewälzt und diese unausgegoren und ungelöst mit ins Bett genommen hatte.
»Und er kommt zu dem Ergebnis: Nur ein Traum war das Erlebnis«, hatte einer meiner Lieblingsdichter gereimt, und so speicherte ich schließlich das Geschehen an der Hütte ab. Bloß, so ganz ohne Praxisbezug war es wahrscheinlich gar nicht. Menschen die sich plötzlich in Luft auflösten – und dabei kurzzeitig ein Vakuum erzeugten, was einen Knall wie von einem Peitschenschlag erzeugt –, waren etwa ebenso unwahrscheinlich wie das Versetzen einer lebenden Person von einer Welt in eine andere, sinnierte ich. Und dann wollte ich es genau wissen.
Ich erhob mich, schlüpfte in meinen Morgenmantel und ging nach unten. Carol saß auf ihrem Lieblingssessel, neben sich ein Glas Rotwein, und rauchte, was sie sehr selten tat.
»Kannst du nicht schlafen? Mir geht’s genauso«, begrüßte sie mich, stand auf und holte mir ein Glas. »Ich habe stundenlang gegrübelt, komme aber einfach nicht weiter. Was mag Bernhard gerade erleben? Ich kann einfach nicht aufhören, an ihn zu denken. Sei mir nicht böse«, fügte sie überflüssigerweise hinzu.
Ich nahm einen Schluck von dem Merlot, den Carol letzte Woche im Supermarkt entdeckt hatte, und nickte dann. »Vermutlich sitzt er jetzt bei ›meiner‹ Carol und die beiden tun das Gleiche wie wir. Aber sag mal, sitzt du schon den ganzen Abend hier? Ich bin doch gegen zehn raufgegangen und habe dann auch tatsächlich geschlafen …«
»Ja, wo hätte ich denn sonst sitzen sollen? Ich bin eigentlich müde, aber das ist alles so aufregend und gleichzeitig irgendwie so entsetzlich, dass ich bestimmt kein Auge zubringen würde. Warum fragst du?«
Ich schilderte ihr meinen Traum und merkte dabei, wie ihr Blick immer ungläubiger wurde. »Du meinst, das sei mehr als ein Traum gewesen?«, fiel sie mir schließlich ins Wort. »Das wird ja immer verrückter!«
»Nein, ich weiß ja, dass ich das nur geträumt habe. Sonst hättest du doch gesehen, wie ich das Haus verlasse, und Charlie würde auch nicht so friedlich auf seiner Decke liegen.« Ich stand auf, ging zu Charlies Decke neben dem Kamin und betastete seine Pfoten. Völlig trocken, ebenso wie die Decke. Er hob den Kopf, sah mich entgeistert an, drehte sich um und schlief weiter.
»Nein, wirklich nicht, auch Charlie war offensichtlich die ganze Zeit hier …«
»Natürlich, hast du das bezweifelt? Ich sage doch, dass du die ganze Zeit oben warst.«
»Schon gut, es muss ja ein Traum gewesen sein, wenn auch ein so lebhafter, wie ich noch selten einen hatte.« Ich griff nach meinem Weinglas. »Aber seltsam ist es trotzdem. Hat aber keinen Sinn, länger daran rumzurätseln. Wie meinst du denn, dass es jetzt weitergehen soll?«
Unsere Arbeitsteilung in der Familie hatte sich in vielen Jahren so eingependelt, dass ich der Analytiker war, der oft lange an irgendwelchen Problemen herumtüftelte, während Carol häufig schnell und aus dem Bauch heraus die praktischen Vorschläge lieferte. Das hatte sich auch meistens bewährt.
»Weiß ich auch nicht, du liest doch immer dein Technovisions-Zeug. Aber sag mal, du kennst doch eine Menge Leute von der Uni und so, vielleicht ist da einer, der sich mit solchen Dingen auskennt …«
Das nahm ich zwar nicht an, aber mit einem Physiker mal über Multiversen, Quantenphysik und Parallelwelten zu reden, würde vielleicht wenigstens etwas Licht ins Dunkel bringen. »Gute Idee, ich werde morgen mal meinen alten Freund Thadewald anrufen, der ist Physiker und nicht total abgehoben. Weil wir gerade von anrufen reden, könntest du mir mal erklären, wie das Telefon hier funktioniert?«
Carol sah mich entgeistert an. »Das Telefon? Du bist doch hier der Technikspezialist! Ganz normal natürlich. Man sagt: ›Anruf bei – wen man eben sprechen will‹, und dann verbindet einen das Mobi. Telefon – dass ich nicht lache, das waren doch diese Dinger, die wie Knochen aussahen und wo man an einer Wählscheibe drehen musste …«
Sie tippte an ihre Armbanduhr oder das, was ich dafür gehalten hatte, und an der Wand tauchte ein Lichtfleck auf. »Anruf bei Wetterdienst München«, sagte sie, worauf in dem Lichtfleck zuerst eine mehrstellige Ziffernfolge und
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