Nebenweit (German Edition)
eines, das ich etwa in Augenhöhe entdeckte, trat ich heran und schaute hindurch. Charlie zerrte immer noch, gab jetzt ein leises Knurren von sich, doch davon ließ ich mich nicht beirren. Das Innere der Hütte war vom Schein einer auf dem Boden stehenden Lampe hell erleuchtet. Die Werkzeuge an den Wänden warfen lange Schatten – ebenso die beiden Männer, die im sichtlich engagierten Gespräch in der Hütte standen. Sie wirkten südländisch mit ihrem dunklen, fast tiefschwarzen Haar, das leicht gewellt und kurz geschnitten war. Einer hatte auffällige Koteletten, der andere einen buschigen Schnurrbart und – nein, das waren keine Südländer, dazu war ihr Teint, soweit das in dem weißen Licht zu erkennen war, zu hell. Sie erinnerten mich eher an einen Menschenschlag, wie man ihn in Schottland oder Irland gelegentlich antrifft.
Ihre Kleidung konnte ich nicht einordnen, sie trugen eine Hose aus einem grünlichen Gewebe, die uniformhaft wirkte, und kräftiges Schuhwerk. Schnurrbart trug ein weit geschnittenes Hemd aus einem leinenähnlichen Material mit auffällig großen Knöpfen, sein Gesprächspartner einen Rollkragenpullover, wie Fischer und Seeleute ihn zu tragen pflegen.
Sie unterhielten sich in einer mir unverständlichen, kehligen Sprache und wirkten erregt. Ich gab mir Mühe, wenigstens die Sprachmelodie und vielleicht ein paar Wortfetzen zu erkennen.
Charlie nutze diesen Augenblick, um noch heftiger an seiner Leine zu zerren, und reagierte mit einem heftigen Knurren auf meinen Versuch, ihn ruhigzustellen …
… und das hörten die Männer in der Hütte. Der mit den Koteletten fuhr herum, riss die Tür auf, sah mich, zuckte zusammen und rief seinem Gefährten etwas zu.
Das Licht erlosch und – die beiden Männer lösten sich buchstäblich in Luft auf! Sie verschwanden, begleitet von Geräuschen, die etwa so klangen, wie wenn eine Peitsche knallt. Ein schwaches, bläulich-violettes Flimmern, so wie man es von elektrischen Entladungen kennt, lag kurz in der Luft.
Ein leichter Luftzug erfasste mich, war aber gleich wieder vorbei.
Ich stieß einen halblauten Schrei aus, löste mich von der Hüttenwand, als wäre sie plötzlich glühend heiß – und fuhr im Bett hoch!
***
Ein Traum? Ein Albtraum? Ich sah auf die Uhr – erst halb zwölf. Das Bett neben mir war leer, Carol war also entweder noch unten oder hatte sich in ihrem Zimmer auf die Couch gelegt, was mich nach den Ereignissen des heutigen Tages nicht verwundert hätte.
Auf Zehenspitzen schlich ich zur Tür, spähte im Flur nach unten und sah Charlie friedlich auf seiner Matte liegen. Ich ging ins Schlafzimmer zurück, setzte mich aufs Bett und fing wieder an zu grübeln. Der Raum war vom Mondlicht fast taghell erleuchtet – ob das an meinem Albtraum schuld gewesen war?
War es überhaupt ein Traum gewesen? Ich erinnerte mich noch so deutlich an jede Einzelheit, dass ich glaubte, das rissige Holz der Hütte an meiner Wange zu spüren. Dennoch saß ich hier auf meinem Bett, meine Kleider hingen ordentlich über dem stummen Butler, den Carol mir vor Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte, und friedvolle Stille erfüllte das ganze Haus.
Erneut versuchte ich, mir einen Reim auf das geheimnisvolle Geschehen zu machen, in dem meine ganze Welt gefangen schien. Wenn eine mir unbekannte Kraft mich in diese andere Welt versetzt hatte, die mit der meinen physisch so viel und in ihrer politischen und wirtschaftlichen Entwicklung so wenig zu tun hatte, musste diese Kraft irgendwie nachweisbar, erkennbar, greifbar sein – forderte mein Verstand. Und wie kam es, dass ich samt Kleidung und allem, was ich bei mir trug, Geldbörse, Brieftasche, Schlüssel, Armbanduhr, Handy, ›gereist‹ war, während meine weitere Umwelt, angefangen von dem Geländewagen, der vielleicht zehn Meter entfernt gestanden hatte, bis hin zum ganzen Inhalt des Hauses offensichtlich ›dieser‹ Welt angehörten?
Fast der ganze Inhalt des Hauses korrigierte ich mich. Nur einige technische Einrichtungen, die auf einen höheren Entwicklungsstand dieser Welt hindeuteten – das Telefon mit seiner wandgroßen Projektion beispielsweise oder der zumindest teilweise elektrisch betriebene Geländewagen –, und natürlich alles, was an Büchern, Landkarten, Lexika und dergleichen eben die Entwicklung und die Zustände dieser Welt und nicht der meinen beschrieb.
Mit diesen Gedanken musste ich eingeschlafen sein. Anscheinend waren die Erlebnisse dieses Tages, mehr noch, die
Weitere Kostenlose Bücher