Nebenweit (German Edition)
zwar Leute aufgetaucht, die von sich behaupteten, sie stammten aus einer Anderwelt, aber die haben sich ausnahmslos als Schwindler erwiesen. Als weiteres Motiv kommt möglicherweise dazu, dass Antolax seine Agenten hier nun einmal hat – und sie auch einsetzen will. Damit sie nicht aus der Übung kommen, verstehen Sie?« Dabei blinzelte er mir zu.
»Auch ein Motiv«, räumte ich ein. »Aber reden wir doch lieber von Ihren Motiven. Dass Antolax sich für diese Zeitlinie interessiert, habe ich begriffen. Das kann man nach allem, was Sie uns erzählt haben, nachvollziehen. Und ich fühle mich hier auch ausgesprochen wohl«, fügte ich hinzu und lächelte dabei Carol zu. »Die Menschen wirken hier weniger aufgeregt als da, wo ich herkomme. Mehr mit sich im Reinen. Das liegt wahrscheinlich an den hundert Jahren Frieden, den diese Welt genießt.«
»Wahrscheinlich«, nickte unser Gast. »Frieden hat etwas so Beruhigendes. Mein Volk ist so klein, dass es bis jetzt einig geblieben ist. Kriege hat es auf meiner Welt seit tausend Jahren nicht mehr gegeben, bloß hin und wieder kleine Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Clans. Vermutlich liegt das daran, dass wir immer viel zu sehr damit beschäftigt waren, um unser Überleben zu kämpfen. In den Gesängen, die wir alle auswendig lernen müssen, auch heute noch, wo sie in Büchern festgehalten sind, erfahren wir vom Auszug aus dem Bergdorf in England und von dem langen Zug über den Kanal nach Luteta. Sie berichten von Hunger und Mühsal, der beschwerlichen Jagd mit unzureichenden Waffen, der mühsamen Rückzüchtung der verwilderten Pferde und Rinder, die wir im Tal der Sena vorfanden, von Krankheiten und Seuchen. Das Metall für unsere Pflugscharen haben wir aus den Ruinen geborgen. Dort lag zwar genug herum, aber es zu bearbeiten, war gar nicht so leicht. An Waffen hat man da kaum gedacht, bloß an solche für die Jagd. Und dann waren unsere Vorfahren auch auf enge Zusammenarbeit angewiesen, um so etwas wie Landwirtschaft aufzubauen. Sie mussten ja alles neu lernen, was die Menschheit vor sechstausend Jahren an Euphrat und Tigris geschaffen hatte. Das Land, in das wir gezogen waren, war schließlich total verwildert, und wo früher einmal Felder gewesen waren, hatte sich wieder der Urwald ausgebreitet.«
»Na ja, ganz so friedlich geht es ja bei Ihnen auch nicht zu«, unterbrach ich ihn, ehe er anfing, uns einen Vortrag über die Geschichte des Getreideanbaus zu halten, so faszinierend das vielleicht auch gewesen wäre. »Der Konflikt mit den Tradis scheint doch gar nicht so ohne zu sein.«
»Ja, aber erst, seit Antolax ihn verschärft hat. Früher verlief der in einigermaßen geordneten Bahnen. Als philosophischer Disput, meine ich. Und in großer Achtung vor der Meinung der Gegenseite. Vielleicht liegt es in der Natur des Menschen, dass solche Konflikte von dem Augenblick an beginnen, gewalttätig zu werden, wo sich ein gewisser Lebensstandard eingestellt hat. Und den haben wir inzwischen dank der Kontakte zu den Anderwelten erreicht.«
»Die Antolax und seine Gruppe ja offenbar ablehnen«, wandte ich ein.
»Ja, das wirkt auf den ersten Blick paradox, nicht wahr? Aber bei genauerem Hinschauen lehnt Antolax diese Kontakte ja gar nicht ab. Er lehnt sie bloß für seine Gegner ab. Er selbst ist da ein wenig gleicher als andere, um noch einmal das Zitat aus der Farm der Tiere zu bemühen«, lächelte Dupont. »Aber ganz im Ernst, der Konflikt hat sich wirklich erst seit ein paar Jahren verschärft. Wir haben eine Weile gebraucht, um zu erkennen, dass Antolax auch vor Gewalt nicht zurückschrecken würde. Ich sagte ja schon, wir sind eigentlich eine sehr friedliche Gemeinschaft. Aber das liegt vielleicht an der Umgebung, in der er sich bewegt. Nach allem, was ich über diese Nazis gelesen habe, müssen die ja ein wahres Schreckensregiment geführt haben, ehe sie ganz Europa unter ihre Gewalt gebracht haben.«
»Ja, davon könnte ich Ihnen einiges erzählen, zumindest aus den Anfängen dieser Bewegung, die in meiner Welt, dem Himmel sei Dank, nach nur zwölf Jahren ein Ende gefunden hat«, meinte ich. »Mein Vater hat mir da einiges erzählt. Er war ja Soldat in Russland und muss dort Schreckliches erlebt haben. Wenn Sie das näher interessiert, kann ich Ihnen da ein wenig Material liefern. Aber nicht jetzt. Ich würde von Ihnen gern mehr über diese niedergebrannte Forsthütte und die Männer erfahren, die ich dort belauscht habe. Und von denen ich jetzt seit
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