Nebenweit (German Edition)
beugte sich dabei vor, legte mir besitzergreifend die Hand auf den Arm. »Wir werden ganz bestimmt eine Lösung finden, Herr Lukas.« Mir fiel auf, dass er ein Abzeichen am Revers trug, eine runde Scheibe, Durchmesser vielleicht drei Zentimeter, außen mit einem dunkelroten Kreis, der auf weißem Grund ein Symbol umschloss, dass ich schon in ähnlicher Form gesehen hatte: ein schwarzes Kreuz, von dessen vier Enden im rechten Winkel schwarze Balken in gleicher Länge und Dicke ausgingen … Die uniformierten Jugendlichen hatten Armbinden mit diesem Symbol getragen. Und auf den Plakaten hatte ich es ebenfalls gesehen.
»Eine Lösung finden«, wiederholte ich. »Das klingt ja sehr vorsichtig, Politiker reden so. Sie haben erklärt, wir wollen in aller Ruhe miteinander reden, und dazu bin ich gerne bereit – aber vorher möchte ich klarstellen, dass ich als freier Mensch hier bin und jederzeit den Raum verlasse, wenn mir etwas nicht passt.«
Schmid seufzte. »Bitte, Herr Lukas, keine Aufregung. Aber um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen – dieses Haus werden Sie dann verlassen, wenn ich das für richtig halte.« Wieder erhob er die Stimme: »Mattke!«
Die Tür öffnete sich und ein Mann in schwarzer Uniform trat ein. Er trug blank polierte Schaftstiefel, die er jetzt zusammenknallte. Es klang wie ein Gewehrschuss, und ich zuckte zusammen. Er trug eine schwarze Schildmütze und am Kragen der Uniform waren beiderseits zwei gezackte Linien zu erkennen, sie sahen aus wie zwei stilisierte Blitze. Und an dem ebenfalls auf Hochglanz polierten Koppel hing eine schwere Pistole im schwarzen Halfter.
»Herr Standartenführer?«, schnarrte der Mann.
Schmid nickte knapp. »Schon gut, Mattke, ich wollte Sie nur mit unserem Gast, Herrn Lukas, bekannt machen. Sie können wieder draußen warten.«
»Zu Befehl, Herr Standartenführer!«, schnarrte Mattke, knallte erneut die Hacken zusammen, vollführte eine perfekte Drehung um hundertachtzig Grad und verschwand durch dieselbe Tür, durch die er den Raum betreten hatte.
»Nur um das klarzustellen«, lächelte Schmid, sofern man es als Lächeln bezeichnen kann, wenn jemand die Mundwinkel in die Höhe zieht und einen dabei mit eisig blauen Augen unbewegt anstarrt. »Und jetzt wollen wir unsere Unterhaltung fortsetzen. Einverstanden?«, fuhr er fort, als hätte diese kleine Demonstration seiner Macht nicht stattgefunden. »Ich fürchte nämlich, Sie werden noch eine Weile in diesem Haus bleiben müssen. In etwas angenehmerer Umgebung, falls wir uns einigen können«, setzte er dann hinzu und verzog erneut die Mundwinkel zu seinem schlangenhaften Lächeln.
Ich blieb stumm und beschloss, ihn reden zu lassen. Nicht dass ich eine andere Wahl gehabt hätte.
»Also, Herr Lukas, fangen wir noch einmal von vorne an. Wie schon gesagt befinden Sie sich hier in einer Parallelwelt, die sich von der Ihren in wesentlichen Punkten unterscheidet. Sie sind hier fremd, genauer gesagt, formal existieren Sie in dieser Welt nicht.« Wieder dieses automatische Lächeln. »Will sagen, Sie haben keine Papiere, sind in keinem Einwohnerverzeichnis enthalten und sind mittellos. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, wie sich dieser Zustand ändern lässt, und weiß auch gar nicht, ob ich daran interessiert bin. Sie sollten also ganz ruhig bleiben und mit mir kooperieren und nicht gleich die Fassung verlieren.«
Ich schluckte und wurde zum Glück einer Antwort enthoben, weil die Frau mit dem weißen Häubchen diesen Augenblick wählte, um nach einem devoten Klopfen an der Tür mit einem Tablett den Raum zu betreten. Auf einem Holzbrett waren ein paar Scheiben Schinken, Wurst und Käse sowie eine Gewürzgurke angeordnet. Daneben lagen zwei Scheiben Schwarzbrot und auf einem kleinen Tellerchen ein Stück Butter. Eine Flasche Bier mit einem Schnappverschluss, wie ich seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatte, stand daneben. Schmid musste bemerkt haben, wie gierig ich die bescheidene Mahlzeit anstarrte, und lächelte. Diesmal hatte ich sogar das Gefühl, dass seine Augen an dem Lächeln beteiligt waren. »Ich wünsche guten Appetit«, nickte er mir zu. »Ich werde Sie jetzt in Ruhe essen lassen, wir können ja unser Gespräch fortsetzen, wenn Sie satt sind.«
Er erhob sich. »Sie brauchen bloß zu rufen, wenn sie fertig sind.« Mit diesen Worten verließ er den Raum, und ich konnte ihn draußen mit gedämpfter Stimme reden hören. Vermutlich erteilte er dem schwarz Uniformierten – Mattke –
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