Nebenweit (German Edition)
Anweisung, mich sofort abzuknallen, sollte ich auf die Idee kommen, das Zimmer zu verlassen. Ein gedämpfter Knall – wieder diese Schaftstiefel, dachte ich – bestätigte meine Vermutung.
***
›Schmid‹ hatte mich etwa eine halbe Stunde allein gelassen, genug Zeit, um das Tablett zu leeren, das man mir gebracht hatte. Es hatte herrlich geschmeckt, die erste Mahlzeit seit einer Woche, die ich in normaler Umgebung und mit so etwas wie Genuss verzehrt hatte. Und dabei war es wirklich schlichte Kost gewesen, was wieder einmal beweist, dass Geschmack eine Frage der äußeren Umstände ist.
Er hatte wieder mir gegenüber Platz genommen, und diesmal lief das Gespräch besser. Er erklärte mir, dass ich wenigstens eine weitere Woche in meiner Zelle würde verbringen müssen, einfach weil er keine Zeit hatte, sich um mich zu kümmern, und mich andererseits auch nicht unvorbereitet auf die mir fremde Welt loslassen konnte oder wollte. Mein Angebot, mich auf so etwas wie Gefangenschaft auf Ehrenwort zu verpflichten, also eine Art Hausarrest in diesem Haus, das ich wie mein eigenes zu kennen glaubte, war für ihn nicht akzeptabel. Das Risiko sei einfach zu groß, wiederholte er ein ums andere Mal. Ein Quartier im Wohnteil des Hauses komme auch nicht infrage, entschied Schmid kategorisch und begründete dies damit, dass meine Bewachung dann wesentlich aufwendiger sei.
Immerhin erreichte ich, dass er mir für die nächste Zeit sozusagen Hafterleichterung versprach – also ordentliches Essen, meine Armbanduhr, Lesestoff und besseres Mobiliar. Auch ein Fernsehgerät wurde mir erlaubt, während meine Bitte um Zugang zum Weltnetz auf völlige Verständnislosigkeit stieß. Inzwischen bin ich ziemlich sicher, dass es sich dabei um eine Errungenschaft meiner Welt handelt, die es in dieser gar nicht gibt.
Im Laufe des Gesprächs wurde mir auch ziemlich klar, dass Schmid, der sich beharrlich weigerte, seinen richtigen Namen zu nennen, ebenso wie ich nicht in dieser Zeitlinie geboren war. Offenbar gehört er einer Gruppe von Leuten an, die sich unerkannt unter den Bewohnern dieser Welt bewegen. In diesem Umstand vermute ich auch den Grund für seine Entscheidung, mich weiterhin als Gefangenen zu behandeln.
Als ich bemerkte, dass mit Protesten nichts auszurichten war, machte ich gute Miene zum bösen Spiel und ließ mich von ihm schließlich in die Bedienung des Fernsehers einweisen, der mich an Geräte aus meiner Jugend erinnerte und bei Weitem nicht den Bedienungskomfort oder die Bildqualität aufwies, die ich gewohnt war. Das würfelförmige Gerät war klobig, hatte eine gewölbte Bildröhre und eine geringe Auflösung. Auch Farbwiedergabe und Tonqualität waren in keiner Weise mit dem Gerät vergleichbar, das ich von zu Hause her kannte. Ziemlich verrückt, die Vorstellung, dass dieses wahrscheinlich keinen Millimeter von hier und doch Welten entfernt stand. Nachdem Schmid mir noch ein paar Bücher, hauptsächlich Zeitgeschichte und ein paar Krimis, überlassen hatte, hatte man mich wieder in mein Kellerverlies gebracht, das inzwischen mit den paar mir zugestandenen Möbelstücken den Charme eines billigen Hotels ausstrahlte.
Ich verabschiedete mich nicht sonderlich herzlich von meinem Kerkermeister, warf Mattke, der uns in den Keller begleitet und sich jetzt finster blickend an der Tür aufgebaut hatte, einen unfreundlichen Blick zu und zog die Tür hinter mir zu. Das Geräusch des sich gleich darauf im Schloss drehenden Schlüssels bestätigte mir denn auch, dass ich wieder Gefangener war.
Abgesehen von dem gesteigerten Komfort meiner Umgebung, wenn man ihn als solchen bezeichnen wollte, hatte sich für mich wenig geändert, nur dass ich jetzt meine ganze Energie darauf verwendete, mir ein Bild von meiner neuen Umgebung zu machen. Schmid hatte keine Zweifel daran gelassen, dass mein Aufenthalt in dieser Welt ein dauerhafter sein würde und es keine Möglichkeit zur Rückkehr in meine vertraute Umgebung gab. Den Verdacht, dass er aus einer anderen Zeitlinie stammte und es demzufolge sehr wohl einen Weg zwischen den Welten geben musste, hatte ich für mich behalten.
Was ich in den mir überlassenen Büchern las, war so faszinierend, dass ich darüber zum Teil sogar meine Gymnastikübungen vergaß. Daneben hatte es die für meinen Gemütszustand nicht ganz unerfreuliche Konsequenz, dass ich mich zeitweise ganz auf die Lektüre konzentrierte und vergaß, über meine persönliche Situation nachzudenken oder mir den Kopf
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