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Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Zwack
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herrschenden Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei war. Die Musik wurde lauter, sie klang geradezu triumphierend. Ich glaubte, die Melodie zu erkennen, die die jungen Leute gesungen hatten.
    Die Kamera schwenkte auf die breite Freitreppe der Feldherrnhalle, wo oben, zwischen den beiden Löwen, ein mit der Hakenkreuzflagge verhängtes Rednerpult aufgebaut war. Ein Mann in der schwarzen Uniform der SS trat hinter das Pult und hob grüßend die Rechte, worauf in der Menge Sieg-Heil-Rufe aufbrandeten. Er wartete ein paar Augenblicke, bis wieder Ruhe eingetreten war, und hob dann zu reden an.
    »Volksgenossen und Volksgenossinnen«, begann er. »Wir feiern heute einen ganz besonderen Tag in der Geschichte des Reiches, einen Tag, den unser Volk auch noch in tausend Jahren in Ehren halten wird. Heute vor genau 72 Jahren hat der erste Führer des Großdeutschen Reiches in Berlin den Friedensvertrag mit den im Krieg von der glorreichen deutschen Wehrmacht besiegten Alliierten, den Staatschefs von Großbritannien, den Vereinigten Staaten von Amerika und der damaligen Sowjetunion unterzeichnet. Großdeutschland ist seitdem die führende Nation auf dem europäischen Kontinent und die arische Rasse genießt weltweit den ihr gebührenden Ruf, die wertvollsten Elemente der menschlichen Rasse in sich zu vereinen …«
    Und so ging es vermutlich endlos weiter, weshalb ich dem Redeschwall mittels der Fernbedienung ein Ende machte.
    Zunächst hatte ich es begrüßt, dass Schmid mir ein Fernsehgerät zur Verfügung gestellt hatte, aber bald wurde mir bewusst, dass das Fernsehen in Deutschland ein willfähriges Instrument des herrschenden Regimes war, das es in den höchsten Tönen verherrlichte, wenn es nicht gerade unglaublich banale Spielfilme zeigte, in denen entweder die glorreiche deutsche Wehrmacht in irgendwelchen entfernten Winkeln der Erde zum größeren Ruhm der arischen Rasse Aufstände niederschlug oder in endlosen Paraden vor den Größen des Reiches im Stechschritt dahinzog.
    Und so vergingen die Tage mit Lektüre der Bücher, die man mir zur Verfügung gestellt hatte, regelmäßigen gymnastischen Übungen im engen Geviert meiner Zelle und dazwischen immer wieder dem gleichen Ritual eines Klopfens an der Tür, dem maskenhaft Wache haltenden Mattke und der roboterhaft servierenden Frau Kormaier. Alle Versuche, mit den beiden ins Gespräch zu kommen, prallten wie an einer Mauer ab. Das geschah stets mit ausgesuchter Höflichkeit – »Es tut mir wirklich leid, Herr Lukas, aber wir haben strikte Anweisung, keine Gespräche mit Ihnen zu führen … Nein, ich weiß auch nicht, weshalb er das so angeordnet hat, aber es steht mir nicht zu, seine Befehle in Zweifel zu ziehen … Ja, ich verstehe, dass das für Sie unbefriedigend ist … Ich werde das gern an ihn weiterleiten …«
    Und dann war diese zweite Phase meiner Gefangenschaft plötzlich zu Ende. Mattke teilte mir mit, Herr Schmid würde in zwei Stunden erscheinen und beabsichtige, mit mir eine Reise zu machen. Ich solle mich reisefertig machen. Nein, wohin die Reise gehen solle, könne er mir leider nicht sagen.
    Auch diesmal erschien Schmid persönlich in meiner Zelle, diesmal in der schwarzen Uniform der SS, weshalb ich ihn auch mit »Guten Tag, Herr Standartenführer«, begrüßte, was ihn dazu veranlasste, die Hacken zusammenzuknallen, die rechte Hand reflexhaft hochzucken zu lassen, wie ich das inzwischen in Dutzenden von Fernsehsendungen gesehen hatte, und »Heillitla« hervorzustoßen. ›Heil Hitler‹ sollte das heißen, ein Gruß, den Adolf Hitler, Gründer des Großdeutschen Reiches und dessen erster Führer, aus meiner Sicht Diktator, im ganzen Reich eingeführt hatte und mit dem man auch noch heute, vierzig Jahre nach seinem Tod, seinem zweifelhaften Genie huldigte.
    »Ich hoffe, Sie haben sich nicht zu sehr gelangweilt, Herr Lukas«, meinte er und bedeutete mir, ihm nach oben zu folgen. »Ich kann mir gut vorstellen, dass das keine gute Zeit für Sie war, auch wenn Frau Kormaier sich hoffentlich in angemessener Weise um ihr leibliches Wohl bemüht hat.« Er legte eine Kunstpause ein, wohl um mir Gelegenheit zu geben, mich für Kost und Logis bei ihm zu bedanken, was ich jedoch bleiben ließ. »Ich bitte auch um Verständnis, dass ich Sie hier praktisch wie einen Gefangenen festhalte, aber hier ist Ihnen ja alles fremd. Das hätte sonst leicht zu irgendwelchen unangenehmen Vorkommnissen führen können«, fuhr er fort, als meine Reaktion ausblieb.

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