Nebenweit (German Edition)
halten –, das alles zehrte an meinen Nerven und machte mich auch Carol gegenüber manchmal reizbar.
Carol hielt sich prächtig. Das Thema Bernhard vermieden wir beide. Was für einen Sinn hätte es auch gehabt, Spekulationen darüber anzustellen, wo er sich befinden mochte. Schließlich war schon eine Welt groß genug, um sich in ihr zu verlieren, da brauchte man gar nicht erst darüber zu sinnieren, auf welcher der zahllosen anderen er gestrandet sein mochte. Immer vorausgesetzt, er war gestrandet und hatte nicht wie ich so etwas wie ein neues Leben gefunden. Wo auch immer …
Was Antolax anging – ich hatte mir angewöhnt, von ihm als ›Falkenberg‹ zu denken, ebenso wie ja auch Dupont für mich und Carol ›Dupont‹ und eben nicht ›Obertix‹ war – so betrachtete ich die von ihm ausgehende Gefahr, seit Duponts Leute uns bewachten, als wenigstens teilweise gebannt. Die Logik sagte mir, dass Falkenberg zwar ein Interesse daran haben mochte, Leute wie Mortimer oder mich in seine Gewalt zu bringen, dies aber für ihn bestenfalls von sekundärer Bedeutung sein konnte.
Und etwa an diesem Punkt hatte sich mein Mobi bemerkbar gemacht. Auf dem Display hatte ich DUPONT gelesen und hatte das Gespräch angenommen, obwohl ich das sonst in Lokalen nicht zu tun pflegte. In der Beziehung war ich recht altmodisch. Ich hatte mir allerdings, gleich nachdem ich mich gemeldet hatte, den Stöpsel ins Ohr gesteckt, da ja nicht der ganze Raum zu erfahren brauchte, was Dupont mir mitzuteilen hatte. »Ich wollte Sie nur auf dem Laufenden halten«, tönte Duponts Stimme an meinem Ohr. »Unsere Aktion gegen Antolax startet in diesen Minuten. Ich nehme an, dass ich Ihnen noch heute Näheres melden kann. Drücken Sie uns die Daumen, dass alles klappt.« Mehr wollte oder konnte er nicht sagen, teils auch, wie er meinte, weil man Telefonate schließlich auch abhören konnte. Damit verabschiedete er sich, nicht ohne Grüße an ›meine charmante Gattin‹ zu bestellen, der alte Charmeur.
Germaniawelt
44
Tadeusz Borowski bedeutete seinen drei Gefährten mit einer beschwichtigenden Handbewegung, dass sie sich jetzt völlig ruhig verhalten sollten. Die vier Männer kauerten hinter einem verschneiten Busch am Rand der Zamkovastraße, etwa hundert Meter von der Brücke über die Alle entfernt.
Sie trugen alle weiße Tarnkleidung; der Winter war in den Masuren schon vor über einem Monat eingebrochen, sodass Borowski sich für diese Art der Tarnung entschieden hatte. Seit zwei Stunden schneite es heftig, dicke Flocken behinderten die Sicht, als er jetzt den Feldstecher hob und zu dem Kübelwagen hinübersah, der unmittelbar am Zugang zur Brücke stand. Unter der in Tarnfarbe lackierten Kühlerhaube quoll öliger Rauch hervor, neben dem Wagen lag ein Mann mit blutverschmiertem Gesicht am Boden, zwei weitere hielten sich hinter dem vermeintlich havarierten Wagen versteckt. Alles sah sehr echt aus. Borowski bekreuzigte sich und schickte ein Stoßgebet zur Madonna, dass alles gut gehen möge.
Wie er diese Deutschen hasste! Seinen Großvater hatten die Russen in Katyn exekutiert, seine Großmutter hatten SS-Leute mehrmals vergewaltigt und dann wie ein Stück Vieh vor den Augen seines damals vierjährigen Vaters abgeknallt. Damals war Krieg gewesen, das lag jetzt über siebzig Jahre zurück, und was einmal Polen gewesen war, nannte sich heute Generalgouvernement und wurde von einem deutschen Gauleiter verwaltet. Beherrscht und ausgeplündert, sagten die Polen – hinter vorgehaltener Hand, denn wenn jemand das hörte, riskierte er damit sein Leben.
Aber der Widerstandswille der Polen war auch in der dritten Generation noch nicht gebrochen, und so gab es immer wieder Trupps von Patrioten, die den verhassten Besatzern auf deren eigenem Gebiet, in diesem Fall in Ostpreußen, unweit von Allenstein zusetzten. Borowskis Kameraden stammten teils aus dem besetzten Polen, teils waren es Kosaken aus dem sogenannten Reichsprotektorat Ost, die der Hass auf die Besatzer mit den Polen verband.
Vor einer Woche war ein Mann in ihrem geheimen Versteck in den Wäldern um Warschau erschienen und hatte Ihnen Geld, Waffen und Fahrzeuge angeboten, falls sie bereit wären, ihn bei einem Anschlag auf den verhassten Burgherrn von Allenstein zu unterstützen, Standartenführer Falkenberg. Der hünenhafte Fremde, blond, blauäugig, Idealtyp der arischen Herrenrasse, hatte erst einen Abgesandten vorgeschickt, einen im Untergrund
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