Nebenweit (German Edition)
geschehen. Wenn ich an sein selbstbewusstes Auftreten in ›meinem‹ Haus in Unterwössen dachte, an die Art und Weise, wie er mich im Flugzeug von München nach Königsberg immer wieder auf subtile oder weniger subtile Weise daran erinnert hatte, dass ich nicht nur sein Gefangener, sondern ihm als Unperson ohne Ausweispapier und somit ohne amtliche Identität wirklich auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war, dann passte das überhaupt nicht zu dem Mann, den ich in ein paar Gesprächen kennengelernt hatte. Glaubte, kennengelernt zu haben, machte ich mir klar. Schließlich lagen im wahrsten Sinn des Wortes Welten zwischen uns.
Jetzt schien ein Ruck durch ihn zu gehen. »Sie scheinen nicht zu wissen, wen Sie vor sich haben!«, herrschte er den Mann mit den slawischen Gesichtszügen an, der ganz offenbar der Anführer der Gruppe war. »Sie haben mich vor einer Stunde überfallen, und inzwischen erwartet man mich auf der Burg. Sie können versichert sein, dass meine Leute bereits in diesem Augenblick ausgeschwärmt sind und sämtliche Straßen überwachen. Das mag hier eine Hütte mitten im Wald sein, und das schützt Sie vielleicht auf ein paar Stunden – aber man wird uns hier finden, und dann wissen Sie genau, was mit Ihnen passiert.«
»Ruhe, Nazischwein!«, herrschte der Mann ihn an. »Ja, ich weiß, wen ich vor mir habe. Einen Mann, der uns Polen für eine minderwertige Rasse hält, bloß weil ihr vor siebzig Jahren den Krieg gewonnen habt und uns seitdem wie Sklaven behandelt. Sie können von Glück reden, dass mein Auftraggeber Sie lebend haben will, sonst hätten wir uns die Mühe mit Ihrer Entführung nicht gemacht, das können Sie mir glauben. Aber vielleicht sagen Sie mir, Herr Standartenführer Falkenberg« – Titel und Name kamen wie ein Fluch über seine Lippen –, »wen Sie da als Gefangenen mit sich führen.« Als er das sagte, wanderte sein Blick zu mir, musterte mich interessiert.
Ich weiß nicht und werde es vermutlich auch nie erfahren, ob Falkenberg vorhatte, seine Frage zu beantworten, denn in diesem Augenblick klopfte es kurz, fast herrisch, an der Tür, die gleich darauf aufging, ohne dass der Neuankömmling auf eine entsprechende Aufforderung gewartet hatte. Ein hochgewachsener, breitschultriger Mann in einem bis zu den Waden reichendem Pelz trat ein. Sein kantiges Gesicht mit den blauen Augen und dem kurz geschnittenen, blonden Haar, das jetzt zum Vorschein kam, als er die Pelzmütze abnahm, ließ ihn wie die Verkörperung des arischen Idealbilds erscheinen, das ich während meiner Gefangenschaft so oft in meinen Büchern gesehen hatte.
Falkenbergs Augen weiteten sich erschreckt, und er sagte etwas in einer kehlig klingenden Sprache, die mir völlig fremd war, dabei hielt ich mir nach vielen Reisen in nahezu alle Länder der zivilisierten Welt zugute, mich in vier Sprachen verständigen und die meisten anderen erkennen zu können. Der Neuankömmling lächelte und antwortete in der gleichen kehligen Sprache, während er den schweren Pelz ablegte und ihn dem Mann hinhielt, der den Überfall auf Falkenbergs Wagen geleitete hatte. Dann meinte er, jetzt in deutscher Sprache, zu diesem gewandt: »Gute Arbeit, Tadeusz, das scheint ja perfekt gelaufen zu sein. Aber sagen Sie, wen haben wir denn da?« Dabei wies er auf mich.
»Ich bin so etwas Ähnliches wie ein Gast von Herrn Falkenberg«, erklärte ich erfreut, endlich zur Kenntnis genommen zu werden. »Ich darf mich vorstellen, ich heiße Bernhard Lukas, Herr Falkenberg hat mich – mehr oder weniger freiwillig, wenn ich das einmal so formulieren darf – aus der Umgebung von München hierher gebracht. Und wer sind Sie?«
»Mein Name ist Heinrich, ich bin ein alter Bekannter von Herrn Falkenberg und – sagten Sie Lukas?«, fiel er sich selbst ins Wort. Seine Augen weiteten sich. »Aus der Umgebung Münchens, sagten Sie? Etwa aus Unterwössen? Könnte es sein, dass Sie dort mit einem Herrn Jacques Dupont bekannt sind?«
»Unterwössen stimmt, woher wissen Sie das? Aber der Name Dupont sagt mir nichts.«
Falkenberg verfolgte unseren Wortwechsel gespannt und sichtlich verblüfft darüber, plötzlich nicht mehr Mittelpunkt des Interesses zu sein. Und dies, obwohl die ganze Aktion doch offenbar ihm gegolten hatte.
Heinrich musterte mich immer noch wie gebannt. Man sah ihm an, wie es in seinem Hirn arbeitete. »Also, Herrn Dupont kennen Sie nicht, sagen Sie«, meinte er bedächtig. »Könnte es aber sein, dass Sie sich, wie soll ich sagen,
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