Nebenweit (German Edition)
Auch darauf reagierte ich nicht, sondern sah ihn nur erwartungsvoll an, als er mich wie bei unserem letzten Gespräch ins Wohnzimmer komplimentierte und mich aufforderte, Platz zu nehmen.
»Ich habe mir überlegt, wie wir Ihnen in dieser Ihnen fremden Welt eine Identität verschaffen können, und habe, glaube ich, auch eine Möglichkeit gefunden. Wir werden zusammen eine kleine Reise machen, nach Ostpreußen, um es genauer zu sagen. Ich bin dort Leiter einer Ordensburg und verfüge über gewisse Beziehungen.« In seinen eisigen Augen blitzte wieder jenes maskenhafte Lächeln auf, an das ich mich von unserem letzten Gespräch erinnerte. »Wir werden zunächst mit einer Linienmaschine nach Königsberg fliegen und von dort mit dem Hubschrauber weiter nach Allenstein reisen, wo sich meine Einheit befindet. Ich habe alle nötigen Vorbereitungen getroffen, wir können daher sofort abreisen. Ich schlage vor, Sie nehmen noch eine kleine Erfrischung zu sich, dann kann es losgehen. Frau Kormaier«, fügte er mit etwas lauterer Stimme hinzu, worauf die Tür sich öffnete und Frau Kormaier ein Tablett mit Kaffee und Gebäck auf den Tisch stellte …
»Und was soll ich dann in Allenstein tun?«, fragte ich und griff nach der Kanne, um mir einzugießen.
»Zunächst einmal verwaltungstechnisch zum regulären Volksgenossen werden«, lächelte Schmid. »Ausweispapiere, Versicherungskarte, Führerschein – eben eine Identität bekommen. Anschließend müssen wir uns überlegen, wie Sie sich nützlich machen können. Darüber können wir uns ja unterwegs unterhalten. Bitte beeilen Sie sich, die Maschine, auf die wir gebucht sind, startet in zwei Stunden.«
»Wo denn?«, wollte ich wissen.
»Auf dem Horst-Wessel-Flughafen von München«, erklärte Schmid. »Keine Sorge, das schaffen wir. Mattke!« Er wandte sich von mir ab, worauf Mattke unter der Tür erschien. »Sagen Sie dem Piloten, er soll sich startbereit machen.« Auf meinen fragenden Blick lächelt er wieder. »Wir nehmen den Hubschrauber, der steht draußen vor der Tür.« Jetzt erinnerte ich mich, vor etwa zehn Minuten ein rhythmisches Schwappen gehört zu haben, das ich nicht hatte einordnen können. Natürlich, das war das Rotorengeräusch eines Helikopters gewesen.
Ich stellte die Tasse hin, nahm einen letzten Bissen von meinem Butterhörnchen und legte den Rest auf den Teller. »Meinetwegen kann es losgehen«, erklärte ich und stand auf. Schmid nickte, griff nach einer Aktentasche, die neben seinem Stuhl gelegen hatte, und ging hinaus, wo Mattke ihm beflissen die Haustür aufriss.
Ich folgte ihm, genoss es, zum ersten Mal seit gut fünf Wochen wieder blauen Himmel über mir zu sehen. Die Sonne strahlte warm vom kaum bewölkten Oktoberhimmel, und als ich mich umsah, entdeckte ich keine fünfzig Meter entfernt auf der Lichtung einen schwarzen Hubschrauber mit laufenden Rotoren. Am Leitwerk waren die mir inzwischen vertrauten SS-Runen zu erkennen. Schmid hatte seine Dienstmütze aufgesetzt und hielt sie mit der rechten Hand fest, damit der von den Rotoren erzeugte Wind sie nicht wegwehte. Er eilte geduckt auf die Maschine zu. »Kopf einziehen, Herr Lukas, sonst ist er ab. Und Sie brauchen ihn schließlich noch«, witzelte er und stieg ein. Ich folgte ihm und nahm in der engen, von Lärm erfüllten Kanzel Platz. Schmid bedeutete mir, einen Kopfhörer aufzusetzen, worauf das Motorengeräusch kaum mehr zu vernehmen war. »Die Mühlen sind verdammt laut«, tönte Schmids Stimme an meinem Ohr. »Sie sind nur mit mir verbunden, der Pilot und Mattke können nicht hören, was Sie sagen«, gab er mir zu verstehen.
Mattke war inzwischen eingestiegen und hatte den Platz des Kopiloten eingenommen. Der Pilot links neben ihm trug ebenfalls SS-Uniform. Schmid tippte dem Piloten auf die Schulter und machte mit der rechten Hand eine kreisende Bewegung, die dieser als Aufforderung zum Start auffasste, der er auch sofort nachkam. Minuten später lag das Haus unter uns, gleich darauf schrumpfte die grüne Voralpenlandschaft auf Postkartenformat zusammen und wir nahmen Kurs auf das weiße Band der Autobahn.
Ich war noch nie in einem Hubschrauber geflogen und staunte erst einmal darüber, wie glatt und mühelos das ratternde Ungetüm Höhe gewann, genoss den Blick durch die rundum verglaste Kanzel auf die zusammenschrumpfende Voralpenlandschaft unter mir und den Verkehr auf den schmalen Dorfstraßen und die sich dahinter öffnende flache Landschaft.
In den Tagen meines Wartens hatte
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