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Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Zwack
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gerade aus, um die kurze Strecke aus der Ankunftshalle für internationale Flüge zum Inlandsterminal zurückzulegen, wo in zehn Minuten mein Flug nach Savannah aufgerufen werden würde. Am Delta-Schalter stand auf einer Schiefertafel zu lesen, dass der Flug DL 145 nach Savannah und Jacksonville um 4:35 p.m. starten würde. Draußen auf der Piste stand bereits eine dreimotorige Propellermaschine einsteigebereit da, und ich konnte sehen, wie gerade unser Gepäck verladen wurde.
    ***
     
    »Zu Besuch hier in Dixie?«, fragte mich die ziemlich korpulente Frau im geblümten Kleid, die sich neben mir auf dem Gangplatz niedergelassen hatte.
    »Ja, ich besuche die Familie meiner Schwester in Savannah«, erklärte ich und stellte mich darauf ein, im Lauf der nächsten zwei Stunden die komplette Lebensgeschichte meiner Sitznachbarin zu erfahren. So sind wir Dixies eben, sie würde mir auch gleich vorschlagen, sie doch beim Vornamen zu nennen. Diese an eine Manie grenzende Vorliebe meiner Landsleute hatte ich in den letzten Jahren in Deutschland abgelegt, würde mich aber schnell wieder an sie gewöhnen.
    »Ich bin übrigens Theresa«, kam es da auch schon, und sie streckte mir die Hand hin. »Ich wohne in Atlanta und besuche meine Eltern auf Tybee Island. Die sind schon pensioniert und haben dort einen Bungalow.«
    »Carol«, nickte ich zurück und drückte ihre Hand. »Meine Schwester ist Lehrerin an der Georgia University.« Und so ging es munter weiter, zwei Stunden lang, ganz so, wie ich das erwartet hatte. Eigentlich machte es mir gar nichts aus, beim Hören der vertrauten Laute meiner Muttersprache kam in mir ein Gefühl von Heimeligkeit auf, und wahrscheinlich tat es mir auch gut, von anderen Gedanken abgelenkt zu werden. Auch das laute Dröhnen der Propellermotoren fiel mir nicht mehr so unangenehm auf. Es waren bestimmt acht Jahre vergangen, seit ich zum letzten Mal in einem so alten Flugzeug geflogen war – so lange lebte ich jetzt schon in Deutschland.
    ***
     
    Schließlich landeten wir auf dem Savannah Hilton Head International Airport. Inzwischen kannte ich wirklich Theresas komplette Lebensgeschichte, wusste Bescheid über die Eheprobleme ihrer Schwester Abigail und hatte ihr versprechen müssen, sie bald auf Tybee Island anzurufen, damit wir uns einmal in Savannah auf eine Tasse Kaffee treffen konnten ›oder etwas Stärkeres‹, wie sie kichernd hinzugefügt hatte. Ihre Telefonnummer steckte in meiner Handtasche. Ihr die meine, also die Cynthias, zu geben, hatte ich vergessen …
    Als ich mit meinen beiden Koffern in der Hand auf die Straße hinaustrat, winkte mir Cindy überschwänglich zu. Sie stand mit der kleinen Claudia vor ihrem Wagen, einem schon etwas angerosteten roten Ford Pick-up. Sie sah genauso aus, wie ich das erwartet hatte: ausgewaschene Jeans, ein ebensolches T-Shirt, das wohl einmal rosa gewesen war, und darüber ihr strahlendes Lächeln. Aber auch das konnte nicht verbergen, wie alt sie wirkte, viel zu alt für ihre 46 Jahre. Die schlanke Figur hatte sie sich bewahrt, aber um ihren Mund hatten sich tiefe Falten eingegraben, die bestimmt nicht nur vom vielen Lachen kamen, und ihr Haar zeigte bereits ein paar grauen Strähnen. Kein Lippenstift, kein Make-up, kein Schmuck außer dem schmalen Goldreif am linken Ringfinger – eine Frau, die sich mit ihrem Leben abgefunden hatte.
    »Schwesterherz, schön dich endlich mal wiederzusehen«, rief sie und drückte mich an sich. »Jetzt musst du mir aber sofort erzählen, was bei euch los ist! Gibt es Probleme mit deinem Kraut?« Meine Familie mochte meinen deutschen Mann, aber den Spitznamen hatten sie ihm gleich verpasst, als ich Bernhard zum ersten Mal nach Hause mitgebracht hatte, und der war ihm auch geblieben.
    Ich drückte kräftig zurück und löste mich dann aus ihren Armen, um die kleine Claudia zu begrüßen. »Bist ja mächtig gewachsen«, erklärte ich nicht übermäßig originell und drückte ihr das Münchner Kindl in die Hand, das ich am Flughafen für sie gekauft hatte, was ihr einen lauten Juchzer entlockte. »Nein, keine Sorge, mit meinem ›Kraut‹ ist wirklich alles okay, er will bloß ungestört an seinem Buch arbeiten, und da dachte ich, das wäre eine gute Gelegenheit, mal nach euch zu sehen.«
    Auf diese Sprachregelung hatten Bernd und ich uns geeinigt, sie sollte für alle gelten, die wir kannten – Familie, Freunde, Kollegen –, und wir hatten uns fest versprochen, von dieser Legende unter keinen Umständen abzuweichen.

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