Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Zwack
Vom Netzwerk:
historischem Boden und besitzt ein paar Überreste einer frühen Indianerkultur, die gelegentlich Archäologen und Historiker anlocken, ist aber ansonsten eine typische Südstaaten-Kleinstadt mit allen Vor- und Nachteilen einer solchen.
    Und für mich war Carterville ›zu Hause‹, und das in höherem Maße als irgendeiner der anderen Orte, an denen ich bisher gewohnt hatte, das wurde mir jetzt zum ersten Mal richtig bewusst.
    Wir rollten in die Buckingham Road, ein Sträßchen mit ziemlich gleichförmigen, ebenerdigen Häusern mit angebauter Garage, meist mit einem Baseballkorb über dem Garagentor und sauber gestutztem Rasen davor. Carterville war ein eher wohlhabendes Städtchen, das von der Arbeitslosigkeit weitgehend verschont geblieben war, unter der die ganze Konföderation auch heute, hundertfünfzig Jahre nach dem Krieg, immer noch litt. Daher standen auch vor einigen Garagen Autos, ein paar davon sogar Modelle aus den letzten Jahren, die ich gar nicht kannte.
    Vor Nummer 2638 winkte uns Cindys Mann Gregory zu. Als ich ausstieg, nahm er mich in die Arme und drückte mich. Ich mochte ihn, wir hatten uns immer gut verstanden, vielleicht sogar besser als mit meiner Schwester, die gelegentlich etwas nervte, wie ich seit frühester Kindheit fand.
    »Lass dich anschauen, Carol«, begrüßte er mich. »Du siehst blendend aus, anscheinend wirst du überhaupt nicht älter!« Das war Südstaatencharme in Reinkultur, fand ich und musste unwillkürlich zu Cindy hinübersehen, die das natürlich merkte und finster blickte, weil sie wohl spürte, dass man das von ihr selbst bei bestem Willen nicht behaupten konnte.
    »Komm rein, ich trage deine Sachen auf dein Zimmer, und dann setzen wir uns auf die Porch«, entschied er und nahm mir die Reisetasche ab. Ich leistete keinen Widerstand und folgte ihm. Ich wollte mich erst frisch machen und stellte verblüfft fest, dass ›mein‹ Zimmer sich kaum verändert hatte. Bloß ein etwas größerer Fernseher stand auf der Kommode, Holo-TVs wie in Europa waren hier allerdings noch eine Seltenheit.
    »Und jetzt erzähl, wie es dir im reichen Europa geht. Habt ihr wieder mal ein neues Auto gekauft?«, witzelte Greg, der Bernhards Vorliebe für Autos kannte, eine Vorliebe, die übrigens Bernd, wie ich festgestellt hatte, mit ihm teilte. »Warum ist Bernhard eigentlich nicht mitgekommen? Habt ihr euch gestritten und du suchst jetzt Trost und Zuspruch bei deiner Familie in good old Dixie?«
    Wie recht er doch hatte, auch wenn mich nicht ein Streit, sondern viel Schlimmeres in den Schoß der Familie getrieben hatte! Aber ich musste ja lügen. »Nein, alles bestens, Greg, das habe ich Cindy schon gesagt. Nur, ihr wisst ja, dass Bernhard immer schon geschrieben hat, und im Augenblick plagt ihn eine neue Romanidee und er kommt mit ihr nicht so richtig weiter. In der Situation findet er sich am besten allein zurecht. Deswegen habe ich kurz entschlossen meine Sachen gepackt, und jetzt habt ihr mich am Hals. Ich hoffe, dass ich euch nicht lästig falle, aber ich will mich auch ein wenig in der alten Heimat umsehen, alte Freundinnen besuchen und mal richtig die Seele baumeln lassen …«
    Ob ich das schaffen würde?
    Ich hätte mich sehr gewundert, wenn nicht ein gewaltiges Supper bereitgestanden hätte: Der Tisch bog sich unter Schüsseln voll Barbecue-Rippchen, Süßwasserkrebsen, der unvermeidlichen Maisgrütze. Süßkartoffeln, einer riesigen Terrine mit Bratensoße, Biskuits, Okra und Maisbrot. Und dazu natürlich reichlich Budweiser – kurz: Man hätte eine ganze Football-Mannschaft verköstigen können.
    Ich war todmüde und vom Essen im Flugzeug noch satt, wollte aber meine Familie nicht beleidigen und griff daher zu, zaghaft, wie Greg fand. Aber als man merkte, dass meine Antworten immer einsilbiger wurden und mir die Augen zuzufallen drohten, hatte Cindy ein Einsehen und entließ mich in mein Bett, wenn auch unter Androhung eines echten ›Southern Breakfast‹, »so wie du es von unserer Mutter gewöhnt bist.«
        
     
     

7
     
    Als ich aufwachte, war es stockdunkel, nur die Leuchtziffern, des Uhrenradios auf dem Nachttisch verrieten mir, dass es vier Uhr früh war. Ich brauchte ein paar Sekunden, bis mir klar wurde, dass ich mich in Carterville befand, in meinem Elternhaus, das jetzt meiner Schwester gehörte, in dem Zimmer, das ich bis zu meiner ersten, gescheiterten Ehe bewohnt hatte. Wie ich ins Bett gekommen war und es geschafft hatte, mich auszuziehen, war mir ein

Weitere Kostenlose Bücher