Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Zwack
Vom Netzwerk:
Amerika nur mit Mühe vorstellen konnte.
    »Ich darf Sie jetzt bitten, Ihre Sitzgurte anzulegen, wir werden in wenigen Augenblicken starten«, tönte es aus den Lautsprechern, und als ich aufblickte, sah ich, wie die Flugbegleiterinnen durch die Gänge gingen und die Gläser einsammelten. Meine Reise in meine Vergangenheit hatte begonnen.
    ***
     
    Die acht Stunden Flug von München nach Atlanta vergingen schnell. Ich sah mir einen Film an, ließ das Geschehen auf dem Bildschirm an mir vorbeiziehen, ohne richtig wahrzunehmen, um was es eigentlich ging. Geistig abwesend nahm ich ein recht opulentes Mahl zu mir, trank ein Glas Wein und später eine Tasse Kaffee, die dafür, dass sie im Flugzeug zubereitet war, recht ordentlich schmeckte. Anschließend ließ ich zehntausend Meter unter mir die Landkarte der amerikanischen Ostküste vorbeiziehen, die Wolkenkratzertürme New Yorks, die von Nebeln verhangenen Bergrücken der Blue Mountains und das Schachbrett von Feldern und Wiesen Georgias, bis schließlich am Horizont die Silhouette von Atlanta auftauchte.
    Der Flughafen hatte bei Weitem nicht die Größe des Münchner Flughafens, aber es standen doch eine ganze Anzahl Düsenmaschinen aus allen Teilen der Welt herum, Jumbos aus dem japanischen Kaiserreich, ein Überschallflugzeug mit dem Wappen Britannias, drei oder vier Lufthansamaschinen und ein Sammelsurium aus den anderen europäischen Staaten und Südamerika.
    Ich stellte mich zuerst automatisch in die Schlange vor dem Schalter CONFEDERATE CITIZENS , bis mir bewusst wurde, dass ich das ja längst nicht mehr war, und wanderte ganz nach hinten zur Schlange NON AMERICAN PASSENGERS . Die Beamtin der Einreisebehörde musterte zuerst meinen Pass, dann mich und wollte wissen, wie lange ich im Land zu bleiben gedenke und was der Zweck meines Besuchs sei. Als ich ihr erklärte, dass ich meine Familie besuche und noch nicht wisse, wie lange ich bleiben würde, hellten sich ihre bis jetzt finster geschäftsmäßig wirkenden Züge auf. »Ihre Familie? Sie stammen also aus der Konföderation?«, erkundigte sie sich interessiert. »Sind Sie schon lange weg?« Das weiche lang gezogene Südstaatenenglisch klang wie Balsam in meinen Ohren und machte mir bewusst, wie sehr ich doch manchmal im menschlich viel kühleren Deutschland die Heimat vermisst hatte. Ich spürte, Thelma – den Namen konnte ich dem Schild über ihrer Brusttasche entnehmen – hätte sich gern länger mit mir unterhalten, aber dafür war die Schlange hinter dem Schalter zu lang.
    »Have a good one«, gab sie mir mit auf den Weg, nachdem sie einen Stempel in den Pass gedrückt und eine Aufenthaltsgenehmigung für sechs Monate dazugelegt hatte. »Pleasure talking to you«, gab ich zurück und machte mich auf den Weg zur Gepäckausgabe. Dort brauchte ich nicht lange zu warten, bis zwei ausgemergelt wirkende Schwarze einen Karren mit Gepäckstücken ins Terminalgebäude zogen und anfingen, Koffer auf den Boden zu stellen. Auf unseren häufigen Reisen in Europa hatte es dafür Laufbänder und Gepäckkarussells mit Edelstahllamellen gegeben, erinnerte ich mich.
    Ein rachitisch wirkender Junge, höchstens vierzehn, ebenfalls schwarz, erbot sich, meine beiden Koffer zum Delta-Schalter zu tragen, wo sie für die zweite Reiseetappe nach Savannah wieder eingecheckt werden mussten. Ich hätte sie auch selbst tragen können, gönnte dem Jungen aber die fünf Dollar, die ich ihm dafür in die Hand drückte. Nicht einmal ein Eurotaler war das, und der Junge strahlte. »Thanks, you are most kind, ma’am«, freute er sich. Ich wusste noch, dass der übliche Obolus einen Dollar betrug, und mich überkam ein Anflug von schlechtem Gewissen, weil es uns in Deutschland um so viel besser ging.
    Vom letzten Besuch in den Staaten hatte ich bloß noch etwa dreißig Dollar in meiner Geldbörse. Deshalb begab ich mich zum Wechselschalter um Geld einzuwechseln, eine Prozedur, die beinahe eine Viertelstunde in Anspruch nahm und in deren Verlauf der Angestellte hinter dem Schalterfenster drei oder vier Seiten mit irgendwelchen Aufzeichnungen füllte. Auf seine Aufforderung hin, meine Kreditkarte in den Schlitz zu schieben, wurde mir bewusst, dass ich hier eine PIN benötigte, und ich musste den Vorgang unterbrechen, um in meinem Notizkalender nachzusehen. Schließlich brauchte man in Europa schon seit Jahren keine PIN mehr und konnte sich per Retinaabdruck oder Stimmmuster identifizieren …
    Mein Aufenthalt in Atlanta war kurz, er reichte

Weitere Kostenlose Bücher