Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebenweit (German Edition)

Nebenweit (German Edition)

Titel: Nebenweit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Zwack
Vom Netzwerk:
ich aber keinen Menschen kannte, keinen einzigen, und ebenso auch keiner mich, auch wenn der Anschein vielleicht ein anderer war. Eine Welt, in der ich mit einer einzigen falschen Bewegung, einem einzigen nicht ins Umfeld passenden Wort, einem Fehlgriff im Alltagsleben, sei es nun mit dem Mobi, am Geldautomaten, beim Bezahlen im Supermarkt – ›Sie waren wohl wieder mal auf Auslandsreise, Herr Lukas?‹, hatte Vanessa gestern gesagt – verraten konnte, dass ich ein Fremder war, ein Alien sozusagen.
    Ich spürte, wie meine Fantasie, erprobt und geschult in unzähligen gelesenen, übersetzten und so manchem selbst geschriebenem Science-Fiction-Schmöker, mit mir durchzugehen drohte. Aber so abwegig waren diese Gedanken nicht. Nur gut, dass dies offenbar eine recht wohlwollende Welt war, noch dazu mit der heimeligen Umgebung eines oberbayrischen Dorfes, dachte ich. Dann wanderten meine Gedanken zu Carol, der Frau, die seit beinahe dreißig Jahren den wichtigsten Platz in meinem Leben einnahm, der Frau, mit der ich jahrelang weitab von der Heimat Freud und Leid geteilt hatte, der Mutter meiner Kinder.
    Ich bemerkte erst jetzt, dass ich, wenige Meter von der Hütte entfernt, auf dem Rückweg zu unserem Haus begriffen, am Wegrand stehen geblieben war und ins Leere starrte, ohne die traumhafte Bergwelt um mich herum wahrzunehmen. Charlie hatte sich niedergelassen und musterte mich fragend, wollte wissen, ob er sich auf ein längeres Schläfchen einrichten sollte oder ob es wohl wieder weitergehen würde.
    »Du hast’s gut«, meinte ich nicht sehr inhaltsreich zu ihm gewandt und setzte mich wieder in Bewegung. Sinnieren konnte ich zu Hause auch und bequemer, und vielleicht würde ja schon bald der Mann vom Forstamt auftauchen. Doch die düstere Stimmung wollte nicht weichen. So trottete ich eher träge den Kiesweg hinauf und überlegte, ob ich Max und Jessie anrufen sollte. Am Telefon war die Gefahr nicht so groß, dass ich mich verplapperte. Carol und ich hatten ja beschlossen, bis auf Weiteres den Kindern nichts zu sagen. Für Carol war das Problem nicht ganz so groß, dachte ich. Sie hatte ja immerhin noch ihre vertraute Umwelt und ihre Familie – und ich schämte mich dann ein wenig, dass ich den Verlust ihres Lebenspartners in Gedanken einfach wie den Wert in einer Gleichung ansetzte.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so dahingetrottet war, aber zu meinem Glück gab es auf dem Weg von unserem Haus ins Tal keine Verzweigungen, und so stand ich plötzlich vor unserem Haus, dessen Tür ich in meiner Verwirrung beim Weggehen offen gelassen hatte. Dann war ich eine Weile damit beschäftigt, die diversen Zeitungen und Zeitschriften auf der Terrasse, die der Wind weit über den Rasen verstreut hatte, wieder einigermaßen zu sortieren. Ein Blick auf mein neues Mobi, das ich seit gestern wie eine Uhr am linken Handgelenk trug, machte mir bewusst, dass mein kurzer Spaziergang fast zwei Stunden gedauert hatte. Ich ließ mich erschöpft, wenn auch ohne zu wissen, wovon, am Tisch nieder und stierte vor mich hin. Ein ganzer Tag vertrödelt, mahnte eine innere Stimme, und ich musste ihr recht geben. Dabei war ich für gewöhnlich eher ein Arbeitstier, wenigstens warf Carol mir das gelegentlich vor. Carol 1, korrigierte ich in Gedanken.
    Ich hörte auf dem Kiesbelag unserer Einfahrt Reifen knirschen. Mehr war ja von den meist elektrisch betriebenen Autos in dieser Welt nicht zu hören.
    »An schena Gruas vom Kirchpointner, und do waar da Schlissl fürd Hittn«, strahlte ein junger Mann, der dem olivfarbenen Geländewagen entstieg und mir ein Kuvert hinhielt. »Da Scheef hod gsogt, Se kenna Eahna ruhig Zeit lossn, er kimmt nägsde Woch moi vobei und hoitn se wieda ob. Se kennan aa aufs Amt bringa, wannsn nimma braucha.«
    Die heimischen Laute waren wie Balsam in meinen Ohren, ich mochte den bayerischen Dialekt, auch wenn ich ihn jahrzehntelang in Washington, Tokio oder sonst wo auf der weiten Welt nicht gehört hatte. Und im Chiemgau wurde er wirklich noch einigermaßen echt gesprochen, ganz im Gegensatz zu München, wo man in meiner Welt ein mit vielen englischen Brocken durchsetztes Hochdeutsch sprach. Englischen Brocken, die es in dieser Welt offenbar kaum gab …
    Ich drückte dem jungen Mann einen Zehntaler-Schein in die Hand und wehrte seine Dankesbekundungen ab. Ob diese Geste wohl in diese Welt passte? Aber die natürlichen Instinkte der Menschen waren vermutlich dieselben, gleichgültig, ob man eine Gefälligkeit mit Euro,

Weitere Kostenlose Bücher