Nebenweit (German Edition)
ankleidete und in den Frühstücksraum begab, wo mich alle Segnungen eines English Breakfast einschließlich Hammelnieren und Kipper erwarteten. Anschließend gab ich mich eine halbe Stunde der Lektüre der Times hin. Das Blatt sah ein wenig anders aus, als ich es in Erinnerung hatte, Home Islands Edition stand unter dem Titel, und darunter waren unter anderem die Redaktionen in Cardiff, Edinburgh, London und Dublin aufgeführt – was zu meiner Verblüffung darauf hindeutete, dass offenbar auch Irland dem UKBN beigetreten war.
Die Schlagzeile galt dem Flottenbesuch der Pazifikflotte in Tokio. Der Korrespondent berichtete von der freundschaftlichen Atmosphäre dieser Begegnung, die Anlass zu der Hoffnung gab, dass die Spannungen zwischen Britannia und Japan damit zumindest für den Augenblick beigelegt waren. Ein Unterton von Misstrauen gegenüber dem autoritär und expansionslüstern auftretenden japanischen Kaiserreich war allerdings nicht zu übersehen, wenn auch ein hoher Diplomat des Völkerbundes, der Nordamerikaner William ›Bill‹ Clinton, auf das gemeinsame Interesse der Völkergemeinschaft an einer alsbaldigen völligen Beilegung der Konfliktpunkte zwischen den Anrainerstaaten des Nordpazifiks hinwies.
»König Charles III. und seine Gemahlin, die Herzogin von Cornwall, nehmen an Eröffnung der Weltausstellung in Buenos Aires teil«, lautete die nächste Überschrift. Dem dazugehörigen Artikel war zu entnehmen, dass dies die erste gemeinsame Veranstaltung der vor zehn Jahren gegründeten südamerikanischen Zollunion sein würde, ein Symbol für das rasante Wirtschaftswachstum jener lang vernachlässigten Weltregion.
Ich legte das Blatt beiseite. So interessant es war, mit praktisch jedem Beitrag Neues zu lernen, mehr über diese Welt zu erfahren, in der ich gestrandet war, ich war einfach viel zu nervös, viel zu aufgeregt, wartete viel zu gespannt auf Richards Anruf, um mich konzentrieren zu können. Ein Spaziergang würde mir guttun, und den Anruf brauchte ich dank moderner Kommunikationstechnik nicht zu verpassen. Schließlich hatte ich ihm ja meine Mobinummer gegeben.
Also machte ich mich auf, trat durch das schwere Eichenportal und schlenderte vorbei an den geschichtsträchtigen Bauten der alten Universität, der ältesten Englands, setzte mich in ein Café in der Little Clarendon Street, überzeugte mich davon, dass die Espressokultur Europas auch im Vereinigten Königreich angekommen war, und wartete. Wartete voll Ungeduld auf das Klingeln meines Mobi und den Anruf Richards, der mich von meiner Spannung erlösen und mir den nächsten Schritt auf dem, wie ich hoffte, Weg zurück in meine Welt und zu Carol weisen würde. Eine Stunde und drei Tassen Espresso später hielt ich es nicht länger aus und lenkte meine Schritte zu Richards Büro, wo im Vorzimmer die gleiche Frau undefinierbaren Alters im gleichen Tweedrock und Pullover wie gestern nach einem prüfenden Blick durch ihre dicken Brillengläser versprach, sie würde sehen, ob Professor Moriarty für mich zu sprechen sei.
Diesmal kam er selbst an die Tür und lud mich mit einer weit ausholenden Handbewegung dazu ein, sein Allerheiligstes zu betreten. Seinen Schreibtisch bedeckten im Gegensatz zum Vortag ein Block mit Notizen, ein halbes Dutzend dicker Folianten, den abgegriffenen Lederrücken nach zu schließen, ehrwürdigen Alters.
»Ich wollte dich gerade anrufen«, erklärte er, nachdem wir ein paar Sätze über den gestrigen Abend und die dabei stattgefunden alkoholischen Exzesse gewechselt hatten. »Aber anscheinend gehört Geduld nach wie vor nicht zu deinen herausragenden Eigenschaften.« Er zwinkerte mir zu. »Aber hör zu.« Er gab mit getragener Stimme eine Folge von Lauten von sich, die mich stark an das letzte Gespräch der beiden Männer in der Hütte erinnerte, und musterte mich dann erwartungsvoll. »Ich nehme an, du hast alles verstanden«, grinste er und hob abwehrend die Hand, als ich widersprechen wollte. »Nein, hast du natürlich nicht. In deiner Sprache soll das etwa heißen: ›Ich bin Bernd Lukas und wohne in dem Haus auf der Hügelkuppe. Ich glaube, Sie haben bewirkt, dass ich aus meiner Welt in diese gebracht wurde. Ich möchte mit Ihnen reden und will in meine Welt zurück. Nehmen Sie mit mir Verbindung auf, ich spreche Deutsch und Englisch. Diesen Text hat ein Freund für mich übersetzt, der in alles eingeweiht ist. Bitte beeilen Sie sich, ich müsste sonst an die Öffentlichkeit gehen, was ich bisher nicht
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