Nebenweit (German Edition)
morgen anrufen und ihn um Hilfe bitten. Ich muss mir nur noch überlegen, wie ich ihm die Geschichte erkläre, da ich annehme, dass du ihn nicht auch in diese Parallelweltengeschichte einweihen willst.«
Er sah mich fragend an, und ich überlegte. Diesen Augenblick wählte unser Kellner, um neben mir aufzutauchen und zu fragen, ob wir an einem Dessert interessiert wären, was Richard begeistert bejahte, während ich ablehnte. Als der Mann sich entfernte, sah ich, wie Richard ihm nachblickte, wobei seine Blicke sich auf das wohlgeformte Hinterteil des Mannes konzentrierten. Ich versetzte ihm einen Klaps auf den Arm, worauf er doch tatsächlich rot wurde und wieder zur Sache kam. »Was meinst du?«, fragte er. »Soll ich das tun? Meine Kenntnisse reichen, fürchte ich, nicht aus, um wesentlich weiterzukommen.«
»Würdest du dir zutrauen, eine knappe Botschaft an diese Leute zu formulieren? Ich meine in deren Sprache, eine die sie einigermaßen verstehen … Weißt du, eigentlich kommt es mir ja überhaupt nicht darauf an, den genauen Wortlaut zu erfahren, schließlich haben diese wenigen Worte ja bereits meine Annahme bestätigt. Da kannst du dir die Mühe mit deinem Kollegen sparen; du müsstest ihn ja vermutlich einweihen, und das wäre mir nicht recht. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die schon länger unter uns weilen. Also gibt es bei denen bestimmt auch Leute, die unsere Sprache beherrschen. Du siehst das ganz richtig, ich möchte vermeiden, dass unnötig viele Leute in dieses Thema eingeweiht werden; das verringert nur meine Chance, irgendwie wieder in meine eigene Welt zurückzukehren.«
Ich versuchte nicht erst, ihm die Gründe für diese Meinung zu erklären, zumal er ja von sich aus angedeutet hatte, dass er nichts ausplappern wolle. Wenn diese Leute sich uns nicht offen zeigten, hatten sie bestimmt Gründe dafür, und zwar nicht nur den, dass man sie zunächst für verrückt halten würde, wenn sie in aller Öffentlichkeit über parallele Welten redeten. Auch die Gerüchte über spukhafte Phänomene in der Umgebung unseres Hauses und um das Verschwinden der vorherigen Mieter gaben mir zu denken und mahnten mich zur Vorsicht.
»Nun ja, eine Kurzbotschaft etwa der Art: ›Ich bin der, den ihr sucht, der Verschwundene aus der anderen Welt, und ich möchte Kontakt aufnehmen, aber wir können uns nur in Deutsch oder Englisch verständigen‹ – das sollte ich allein hinkriegen. Auch wenn es für die ein wenig fremdartig klingen wird. Ich nehme ja an, dass die beiden Männer in der Hütte so etwas wie Fußsoldaten sind. Ich meine das nicht im militärischen Sinn«, beeilte er sich hinzuzufügen, als er meine Reaktion sah. »Die haben ja sicherlich irgendwelche Vorgesetzte, denen sie berichten, und die dürften eine moderne Sprache beherrschen.«
Er dachte also wie ich, und das beruhigte mich.
***
Der Abend wurde noch ziemlich lang und endete schließlich in der Bar, wo ich mir – glückliches England – sogar eine Zigarre anzünden durfte, die hier offenbar von der Umwelt bei Weitem nicht so schädlich empfunden wurde wie in der reglementierten Europäischen Föderation. Richard hatte den Gedanken von den Parallelwelten aufgegriffen und philosophierte mit mir über die diversen Knotenpunkte in der Geschichte unserer Menschheit, an denen es zur Bildung solcher Abzweigungen hätte kommen können. Als wir uns schließlich nach dem dritten Whisky trennten, hatte er mir versprochen, bis morgen Nachmittag einen Textentwurf fertig zu haben, den ich in einen Rekorder sprechen konnte, und mich dann sofort anzurufen.
Als ich mich in mein Zimmer begab, war ich für die steilen, aber engen Treppen dankbar, die ja für englische Häuser so typisch sind, insbesondere für solche aus der Zeit, aus der das Old Patronage stammte. Falls ich richtig mitgezählt hatte, hatte ich während unseres Gesprächs heute Abend vier Whisky und eine Flasche Wein konsumiert, den Begrüßungstrunk in Richards Büro nicht mitgerechnet. Das sollte für die nötige Bettschwere sorgen. Schließlich war ich seit Beendigung meiner Korrespondentenlaufbahn etwas aus der Übung.
***
So verwunderte es mich keineswegs, dass ich erst um elf aufwachte, dann freilich ein wenig erleichtert feststellte, dass es nach Greenwich-Zeit erst zehn war. Aus dem Spiegel starrte mich ein unrasiertes Gesicht mit leicht blutunterlaufenen Augen an. Eine längere Dusche stellte mich wieder einigermaßen auf die Beine, worauf ich mich rasierte,
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