Nebenweit (German Edition)
gewesen«, meinte Dupont etwas gequält. »Aber ich kann es Ihnen nicht verdenken. Übrigens hätten Sie Ihrem Freund, dem Sprachprofessor, die Mühe ersparen können. Unsere Leute sprechen alle die jeweilige Landessprache. Aber das konnten Sie natürlich nicht wissen. Untereinander sprechen sie natürlich ihre Muttersprache. Aber was meinen Sie, wollen wir das Gespräch hier und jetzt fortsetzen oder sollten wir eine kleine Denkpause einlegen und uns ein andermal wieder treffen?«
Die Denkpause fand ich gut, es gab doch einiges zu verarbeiten, und so winkte ich Vaclav, mir die Rechnung zu bringen, und bestand auch darauf, sie zu begleichen. »Sie sind mein Gast«, feixte ich. »Schließlich bin ich hier zu Hause. Sozusagen«, fügte ich nach einer kleinen Pause hinzu.
Draußen auf der Straße dann schlug Dupont vor, noch einen Espresso zu nehmen, womit ich mich einverstanden erklärte. Wir gingen das kleine Stück bis zu der Passage hinter dem altehrwürdigen Modehaus Dietl, wo sich, übrigens wie in meiner Welt, ein kleines Espresso-Bistro eingenistet hatte, das seinen Besitzern und der italienischen Espressokultur alle Ehre machte. Ich wunderte mich immer wieder darüber, wie parallel doch die Dinge in einer Welt lagen, die in ihrer politischen Entwicklung so ganz andere Wege genommen hatte. Über Duponts Ortskenntnisse wunderte ich mich auch.
»Sie scheinen sich ja wirklich gut auszukennen«, sprach ich ihn darauf an, worauf er mir gestand, schon seit acht Jahren in Bayern eingesetzt zu sein.
»Ich hatte eine Weile meinen Standort hier in München, ganz in der Nähe, am Färbergraben, und lebe jetzt in Rosenheim. Deshalb hatte ich auch zunächst vorgeschlagen, dass wir uns bei Ihnen treffen.«
Ich nickte abwesend. In den letzten paar Minuten hatte ich einiges Neue erfahren, nämlich, dass ich es offenbar mit einer größeren Organisation zu tun hatte. ›Unsere Leute sprechen alle die jeweilige Landessprache‹, hatte er gesagt, und soeben hatte er mir seinen Wohnsitz verraten. Ob das Absicht war? Oder war er einfach nur unvorsichtig? Wir kippten beide unseren Espresso, dann kam mir Dupont zuvor und legte einen Geldschein auf den Tisch, und ich ließ ihn gewähren.
»Soll ich Sie nach Rosenheim mitnehmen?«, fragte ich ihn. »Ich bin mit dem Wagen hier, und das ist ja auch meine Strecke.«
Dupont war einverstanden, und so schlenderten wir beide zum Parkhaus und reihten uns kurz darauf in den nicht besonders dichten Verkehr ein. Wir hatten an die zwei Stunden geredet, und ich hatte einiges zu verarbeiten. So fuhren wir die ersten zwanzig Minuten schweigend dahin, schon weil ich meiner Ortskenntnis nicht vertraute und mich vom Navigationsgerät leiten ließ und Dupont zu höflich war, mich abzulenken.
Als wir schließlich die Autobahn erreicht hatten, sah ich zu ihm hinüber und meinte: »Sie sagten vorhin, Ihr Volk sei von der Katastrophe vor tausend Jahren fast ausgelöscht worden. Inzwischen muss es doch wieder gewachsen sein, schließlich leben Sie, wie Sie sagten, schon seit fünfhundert Jahren an der Seine. Mich würde interessieren, welchen Bevölkerungsstand Sie erreicht haben.«
»So genau kann ich Ihre Frage gar nicht beantworten, wir haben ja bis vor zweihundert Jahren praktisch in der Bronzezeit gelebt, weil wir zu wenige waren, um so etwas wie Industrie aufzubauen. Aber seit wir Kontakt zu Ihrer Welt haben, ist es mit uns aufwärts gegangen. Doch dann kamen die Seuchen, die unsere Besucher Ihrer Welt bei uns eingeschleppt haben. Ein sehr trauriges Kapitel, auf das ich jetzt nicht näher eingehen möchte. Doch wir haben viel von Ihnen gelernt und benutzen inzwischen Pferdefuhrwerke und auch einfache Flussboote. Pferde hatten wir auf der Insel nicht, aber zum Glück haben wir im Seinetal Wildpferde gefunden, die wir domestiziert haben. Ob es in anderen Regionen der Erde noch Menschen gibt, wissen wir allerdings immer noch nicht. In den letzten hundert Jahren haben wir einige Schulen aufgebaut und bemühen uns, unsere Leute auszubilden. Doch das ist sehr schwierig, weil es meist an den Grundlagen fehlt. Meine Kollegen und ich hatten mit der Wahl unserer Ausbilder großes Glück.«
Das kaufte ich ihm nicht ab. Der Mann verfügte über einen Sprachschatz und eine Ausdrucksweise, um den ihn mancher meiner Zeitgenossen beneidet hätte. So etwas lernt man nicht in primitiven Zwergschulen.
Ich wechselte das Thema. »Können Sie sich eigentlich nur in eine bestimmte Welt versetzen oder auch in
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