Nebenweit (German Edition)
aus dem Prado in Madrid waren drei Velazquez-Gemälde gestohlen worden … alles Routine, wie ich es aus meiner Welt auch kannte. Nur dass das Bild wesentlich schärfer und dreidimensional war. Dafür konnte man aber auch die Pickel auf der Stirn des Moderators besser erkennen.
Da war die Diskussionsrunde, die auf die Nachrichtensendung folgte, zumindest für mich, schon interessanter. Der Moderator erinnerte mich an jemanden, den ich kannte, und nach längerem Hinsehen und Wegdenken des Schnurrbarts erkannte ich ihn auch, kurz bevor sein Name eingeblendet wurde. Natürlich, das war Günter Jauch. Es ging um das Bürgergeld, das in einigen Mitgliedsstaaten der Union offenbar immer noch umstritten war. Eine Teilnehmerin, eine etwas korpulente, leicht lispelnde Dame mit ausgeprägten Falten um den Mund und schwerfälliger Gestik setzte sich vehement dafür ein, diese im Deutschen Bund bereits seit beinahe zwanzig Jahren eingeführte Segnung auch den sich dagegen sträubenden Schweizern zukommen zu lassen. Ihrer Ansicht nach widersprach es dem Geist der europäischen Verfassung, ein so wichtiges soziales Thema den Zufälligkeiten eines Volksentscheides zu unterwerfen, den die Schweizer aber seit ihrem Beitritt zur Union in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts hartnäckig verteidigten. »Die Solidarität mit unseren weniger privilegierten Mitbürgern macht diese Forderung einfach alternativlos«, ereiferte sie sich.
Jetzt wurde der Name der streitbaren Dame eingeblendet, und ich musste laut lachen. Angela Merkel, Bundessozialministerin, SPDB konnte man unter ihrem etwas fülligen Dekolleté lesen. Sie trug das Haar lang und hatte Make-up aufgetragen, aber die typischen Falten um den Mund hätte ich sofort erkennen müssen. »Was hast du denn, sie hat doch recht?«, wunderte sich Carol über meinen Heiterkeitsausbruch. »Die hat sehr vernünftige Ansichten und ist auch beliebt«, fügte sie hinzu, als ich mich einfach nicht beruhigen konnte, und begriff meine Heiterkeit auch dann noch nicht, als ich ihr erklärte, dass diese Dame bei uns seit zehn Jahren Bundeskanzlerin sei und als eine der mächtigsten Frauen der Welt gelte.
Ich hatte etwas Mühe, der Diskussion zu folgen, weil dieses Bürgergeld seit Jahrzehnten Alltag war. Als die Diskussion nach einer Stunde und erwartungsgemäß ohne greifbares Ergebnis endete, war ich froh, dass ich mir den Sachverhalt von Carol erklären lassen konnte. Ich lernte, dass dieses Bürgergeld sich im Lauf von mehr als hundert Jahren allmählich aus der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung im damaligen Preußen entwickelt hatte. Heute hatte jeder Bundesbürger von Kiel bis Triest und von Luxemburg bis Krakau Anspruch auf ein vom Staat bezahltes Grundeinkommen, das augenblicklich etwas über 1200 Eurotaler betrug und von den jeweiligen Ländern unabhängig davon gezahlt wurde, ob der oder die Betreffende über Vermögen oder Einkünfte irgendwelcher Art verfügte.
»Du und ich etwa auch?«, fiel ich Carol verblüfft ins Wort. »Das kann doch nicht sein. Das ist doch eine schreiende Ungerechtigkeit. Ich weiß inzwischen, dass Bernhard eine dicke Pension von seiner Firma bezieht und im Übrigen auch ein ansehnliches Depot besitzt. Wer zahlt das denn? Da kann sich ja jeder auf die faule Haut legen!«
Carol musste über meinen Ausbruch lachen. »Genauso habe ich es auch empfunden, als wir aus Amerika hierher gekommen sind. Meine Familie begreift das heute noch nicht. Aber ich hab’s inzwischen kapiert. Zum einen besteht dieser Anspruch nur für Leute, die mindestens fünfzehn Jahre entweder aus ihrer Berufstätigkeit Steuern bezahlt haben oder, wenn sie keine bezahlte Arbeit finden konnten – oder wollten, das sollte ich ausdrücklich betonen –, für öffentliche Einsätze zur Verfügung standen. Krankenpflege, Hilfe im Haushalt, Kindertagesstätten und dergleichen. Oder Müllabfuhr und Pflege öffentlicher Anlagen. Wer sich dem verweigert, bekommt Essensmarken und lebt in staatlichen Heimen. Das ist nicht besonders angenehm und wird auch kaum in Anspruch genommen. Zudem zahlt jeder auf jeden Taler, den er zusätzlich verdient, gleichgültig ob aus Berufstätigkeit oder Vermögensbesitz, gestaffelt zwischen zwanzig und dreißig Prozent Steuern. Die Freigrenze beträgt derzeit dreißigtausend im Jahr, und nach oben gibt es keine Grenzen. Bei einer Million Einkommen zahlt man eben dreihunderttausend Taler Steuer.«
»Und das funktioniert?«, staunte ich.
»Sehr gut sogar,
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