Nebenweit (German Edition)
Nachttisch und Bettdecke sowie meine linke Hand verspritze.
»Was ist denn?«, tönte es schlaftrunken von Carols Seite, und sie setzte sich auf.
»Nichts, nur ein Traum«, beruhigte ich sie. »Schlaf weiter.«
Für mich war an Schlaf nicht mehr zu denken. Ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass das, was ich da gesehen hatte, eine Ansiedlung der Leute war, die Dupont in unsere Welt entsandt hatten. Allmählich wurden mir meine Träume unheimlich: Ich hatte zweimal von den Männern in der Hütte geträumt und mich so verhalten, als ob das Geträumte Realität wäre. Das hatte sich als richtig erwiesen. Also lag nahe, auch diesen Traum für ein Abbild der Realität zu halten.
Das löste eine neue Gedankenkette aus: Träume haben nichts mit der Realität zu tun, das lehrt uns die Wissenschaft. Träume sind irreal, finden im Unterbewusstsein statt, jenseits aller kognitiven Fähigkeiten. Doch dies waren Wahrträume gewesen, Träume, die mir in zwei Fällen nachweisbar Zugang zur Realität verschafft hatten, sodass der Schluss nicht abwegig sein durfte, dass es sich auch mit diesem so verhielt. Ich würde mich mit Dupont darüber unterhalten – oder vielleicht auch nicht. War es klug, ihn einzuweihen, oder war es für meine Ziele sinnvoller, ihn darüber im Unklaren zu lassen? Und was waren überhaupt meine Ziele, wenn man einmal von dem eigentlichen absah, dass ich wieder in meine gewohnte Welt zurück wollte? Darüber würde ich gründlich nachdenken müssen und mir vielleicht auch zum Wesen des Traums an sich etwas Rat besorgen müssen. Doch falls es sich auch bei diesem dritten Traum zumindest weitgehend um einen Wahrtraum gehandelt hatte – was konnte man aus ihm lernen?
Zunächst einmal, dass diese Gäler über ein recht gut organisiertes Gemeinwesen verfügten, auch wenn sie sich technisch noch auf Bronzezeitniveau befanden. Aber es gab bei ihnen offensichtlich eine straffe Organisation. Dafür sprachen das Gebäude, ein Rathaus oder vielleicht auch eine Bibliothek, und die Uniformierten, die davor Wache hielten. Eine Art zeremonielle Wache, wie mir schien – und das deutete auf einen gewissen materiellen Wohlstand.
Sie konnten es sich leisten, arbeitsfähige Männer von der Arbeit auf den Feldern und der Jagd freizustellen und sie als Wachen oder Polizisten einsetzen. Und sie konnten nicht nur lesen und schreiben, sie besaßen auch Bücher. Also musste es Leute unter ihnen geben, die sich mit dem Kopieren von Schriften befassten, so wie das in unserer Welt früher die Mönche getan hatten. Oder waren einige der Folianten gar gedruckte Bücher gewesen? Dann diese grünen Flecken auf der Landkarte an der Wand – waren das die Orte, wo sie Kontakt zu unserer Welt hatten? Und vielleicht zu einigen anderen auch?
Fragen über Fragen, die mich beinahe bis zum Morgen wach hielten, sodass ich erst gegen fünf Uhr Schlaf fand, der dann allerdings bis beinahe halb zehn andauerte. Als ich schließlich die Augen aufschlug, war das Bett neben mir leer, und aus dem Untergeschoss konnte man Carol in der Küche hantieren hören. Im Hintergrund lief offenbar das Fernsehen, aber sie hatte das Gerät mit Rücksicht auf mich so leise gestellt, dass ich nicht hören konnte, was da gerade für eine Sendung lief.
20
Als ich eine halbe Stunde später in die Küche kam, war der Frühstückstisch bereits gedeckt und der Duft von frisch gebrautem Kaffee lag in der Luft.
»Guten Morgen, Bernd, ich bin schon seit vier Stunden wach. Du weißt ja, der Zeitunterschied«, begrüßte mich Carol und schenkte mir, ohne zu fragen, Kaffee ein. Wir plauderten eine Weile über ihre Erlebnisse in Savannah, und ich musste mehrmals schmunzeln. Carol konnte gut erzählen, und was sie über eine etwas aufdringliche Reisebekanntschaft namens Theresa berichtete, war wirklich erheiternd. Meinen Traum behielt ich für den Augenblick noch für mich.
Im Hintergrund lief das Fernsehen, eine Sendung mit Lokalnachrichten, die mich nicht besonders interessierten – bis ich plötzlich zusammenzuckte und abwehrend die Hand hob, um Carol zum Schweigen zu bringen.
»… aus der geschlossenen Abteilung des Kreiskrankenhauses von Rosenheim verschwunden«, tönte eine etwas affektierte Frauenstimme. »Die unbekannte Person männlichen Geschlechts war vor zwei Tagen von einer Polizeistreife eingeliefert worden, die den verwirrt wirkenden, alten Mann auf der Landstraße aufgegriffen hatte. Der nur gebrochen deutsch sprechende Mann
Weitere Kostenlose Bücher