Nebenweit (German Edition)
einer ganzen Menge zwischen den Ständen umhertobender Kinder. Ich musste also träumen.
Ich fing an, die Menschen genauer zu beobachten, sah, dass viele von ihnen barfuß waren, während andere einfache Sandalen trugen. Aber alle wirkten sie sauber, sogar gepflegt. Bekleidet waren sie überwiegend mit meist bis zum Knie reichenden Hosen oder Röcken aus grob gewebtem Stoff oder Leder sowie Hemden oder Blusen aus einer Art Leinen, manche mit bunten Stickereien. Männer wie Frauen aller Altersstufen drängten sich um die Stände, betasteten die ausgestellte Ware und kauften gelegentlich auch, wofür sie mit Münzen bezahlten, die sie meist in kleinen Lederbeuteln bei sich trugen.
Auf einem etwas erhöhten Podium in der Mitte des kreisrunden Platzes standen drei Männer in einer Art Uniform; das schloss ich aus ihren blauen Schulterriemen, an denen eine Art Kokarde befestigt war, und den Kurzschwertern, die alle drei an der Hüfte trugen. Dazu kamen noch runde, eng anliegende Filzkappen aus einem roten Material. Eine Art Polizei oder Aufsicht, vermutete ich.
Ich stand mitten in dem Gewühl, hatte aber den Eindruck, dass niemand mich wahrnahm. Ein paar Mal wich ich aus, wenn jemand mir zu nahe kam. Aber vermutlich wäre er durch mich hindurchgegangen, ohne mich dabei zur Kenntnis zu nehmen.
Ich ging weiter, ließ den Markt hinter mir zurück und schlenderte durch die Reihen niedriger ein- und zweistöckiger Hütten, die fast ausnahmslos mit Stroh gedeckt waren, bis ich zu einem etwas massiver wirkenden Gebäude kam, das offenbar aus Lehmziegeln errichtet war. Eine breite Treppe führte zu einer Art Eingangsportal, über dem eine Schrifttafel hing mit mehreren mir unbekannten Wörtern in einer an das Lateinische erinnernden Schrift. In einer Halterung über der Tür steckte eine Fahne, die auf blauem Grund eine grüne, kreisrunde Scheibe mit einem Symbol zeigte, das mich an einen Blitz erinnerte.
Zwei Männer, ähnlich gekleidet wie die drei auf dem Marktplatz, hielten beiderseits des Portals Wache, nahmen mich aber nicht zur Kenntnis, als ich zwischen ihnen eintrat. Den Boden bedeckten sauber verlegte Dielen, die Wände waren hell getüncht; alles machte einen sehr gepflegten Eindruck. Eine Art Rathaus , dachte ich und spähte durch eine der offenen Türen. In dem Raum, der sich mir auftat, säumten Regale mit ledergebundenen Folianten die Wände, ihre Rücken waren in der gleichen Schrift beschriftet, die ich über dem Eingangsportal gesehen hatte. Einige davon wirkten vom häufigen Gebrauch abgegriffen, sodass man die Schrift kaum mehr lesen konnte, andere sahen aus, als habe man sie soeben erst hingestellt.
An schlichten Holztischen in dem vielleicht acht mal zehn Meter großen Raum, der sein Licht durch große Sprossenfenster bekam, saßen Männer und Frauen, die in Folianten lasen und sich gelegentlich Notizen machten. Einige benutzten Federkiele, aber eine Frau verwendete eine Art Kugelschreiber. Neben dem Folianten, in dem sie blätterte, wenn sie nicht gerade schrieb, lag ein Buch, wie ich es aus meiner Welt kannte!
Es drängte mich, neben sie zu treten und mich zu vergewissern, dass ich richtig gesehen hatte, aber irgendwie schaffte ich es nicht, war in meinem Traum anscheinend nicht ganz Herr meiner selbst, und ließ es deshalb bleiben.
Dafür fiel mein Blick auf eine Landkarte auf einer Staffelei neben einem der Fenster. Soweit ich von meinem Standort an der Tür erkennen konnte, zeigte sie die Konturen des europäischen Kontinents mit breiten dunklen Feldern, die, soweit ich mir die physikalische Karte meines Heimatkontinents ins Gedächtnis rufen konnte, die Gebirge anzeigten. Blaue Linien waren die Flüsse, wenn auch teilweise in recht vager Form. Und dann gab es ein paar rote Flecken auf der sonst weitgehend monochromen Karte, Flecken an Orten, wo sich in meiner Welt Großstädte befanden. München, Berlin, Prag erkannte ich, aber es waren nur einige wenige. Und in der Gegend von Paris – sofern ich mit meiner Vermutung recht hatte – und um München waren größere grüne Flecken zu erkennen, dazu ein paar braune Markierungen an Orten, mit denen ich nichts anzufangen wusste.
Jetzt stand eine Frau an einem der Tische auf und kam auf mich zu, worauf ich unwillkürlich versuchte, ihr auszuweichen – und plötzlich hellwach war.
Ich fuhr ruckartig in die Höhe und stieß dabei an das Glas Wasser, das ich meist abends auf den Nachttisch stelle und das jetzt herunterfiel und seinen Inhalt über
Weitere Kostenlose Bücher