Nebenweit (German Edition)
fotografieren ließen.
Ich nahm einen Schluck von dem vorzüglichen Champagner, Taittinger, wie ich nach einem Blick auf die Flasche im Eiskübel festgestellt hatte, und verdrängte diese Reminiszenzen aus meinen Gedanken. Die Vorstellung, einen Schicksalsgenossen kennenzulernen, vielleicht gemeinsam mit ihm Pläne für eine Rückkehr schmieden zu können, beflügelte mich, seit ich das erste Mal von seinem Buch gehört hatte. Carol hatte mich mehr als einmal aus meinem Sessel aufscheuchen und ins Freie treiben müssen, wenn ich wieder einmal sinnierend dagesessen hatte. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass sie mich verstand und dass sich zwischen uns allmählich so etwas wie Vertrautheit entwickelte, Empfindungen, die vielleicht für ein gemeinsames Leben tragfähig sein würden, sollte sich herausstellen, dass Dupont die Wahrheit gesagt hatte und es für mich – und natürlich auch Bernhard – wirklich kein Zurück gab.
Aber für den Augenblick kreisten meine Gedanken ausschließlich um diesen Japaner, dessen Schicksal dem meinen so ähnlich sein musste. Ich blätterte ziel- und planlos in dem Magazin, das die Lufthansa in der Sitztasche deponiert hatte, überflog ohne Interesse die vielen Zollfrei-Angebote sowie einen Artikel, der überschwänglich die Strände von Tahiti pries, und war froh, als nach einer Weile das Essen gebracht wurde. Beim Nachtisch kam ich mit dem Japaner ins Gespräch, der neben mir saß, einem leitenden Angestellten einer japanischen Firma auf dem Rückflug von einer ausgedehnten Geschäftsreise durch Europa.
Dies war seine erste Europareise gewesen, und es tat ihm sichtlich gut, in mir einen Gesprächspartner zu haben, der sein Land kannte und höflich von der Schönheit der alten Tempel von Kyoto und den Rehen im Park von Nara schwärmte. »Taihen kekko desu« (das ist sehr schön), prahlte ich mit den paar Brocken Japanisch, die ich mir gemerkt hatte, was ihn sofort zu einer höflichen Verbeugung veranlasste. Dann gab er sich Mühe, mir die Politik seiner Regierung zu erklären, und bestand darauf, dass die Annexion weiter Teile Chinas nur zum Nutzen der dortigen Bevölkerung erfolgt sei, sein Land habe diese ja immerhin aus blutiger Armut befreit.
»Sie werden sehen, mein Land wird in den nächsten zehn Jahren einen gewaltigen Wirtschaftsaufschwung erleben und mit der Wirtschaft der restlichen Welt gleichziehen«, erklärte er mir überzeugt. »Schließlich ist der Handel zwischen den Völkern der wichtigste Garant für wachsenden Wohlstand und den Ausgleich sozialer Ungerechtigkeiten. Oder hat man es in Europa und in Britannia etwa als gerecht empfunden, dass in China Millionen Menschen Jahr für Jahr den Hungertod sterben? Wir werden ihnen Arbeit und Brot geben und sie an der Groß-ostasiatischen Wohlstandssphäre teilhaben lassen, die mein Land errichtet hat. Und niemand auf der Welt braucht uns zu fürchten. Wir werden unsere Streitkräfte abbauen und sie dem Völkerbund unterstellen, so wie die anderen Großmächte das auch getan haben. Was wir erreichen wollten, haben wir erreicht, Japan hat keinen territorialen Bedarf mehr.«
Dein Wort in Gottes Ohr, dachte ich mir und nickte nur. Mir konnte es ja nur recht sein, wenn Japan Ausländern gegenüber etwas aufgeschlossener geworden war. Ich hatte mich im Weltnetz informiert und wusste, dass es sich noch vor zehn Jahren massiv gegen die Außenwelt abgeschottet und nur wenigen Diplomaten den Zugang erlaubt hatte. Aber das schien endgültig vorbei.
Dann nahmen wir schweigend die Mahlzeit ein.
Mein Nachbar schien es zu genießen, endlich wieder gewohnte Kost zu sich nehmen zu können, und auch ich hatte mir ein japanisches Menü bestellt, um mich auf die Tage in Tokio vorzubereiten. Nobuto-san hatte mir kurz nach Beginn unseres Gesprächs mit feierlicher Geste seine Visitenkarte überreicht – sie wies auf der Rückseite Name und Titel in deutscher Sprache auf, sodass ich wusste, dass Herr Nobuto Exportdirektor der Firma Matsushita war – und lobte jetzt meinen geschickten Umgang mit den Essstäbchen.
Zum Abschluss empfahl ich ihm einen französischen Cognac, hob das Glas auf sein Wohl – kempai –, lehnte mich dann zurück und schloss die Augen. Ich wollte nicht länger plaudern und war, davon abgesehen, ziemlich sicher, dass Nobuto-san in Kürze einschlafen würde. Er hatte zum Essen zwei Flaschen Bier zu sich genommen, die im Verein mit dem Cognac sicherlich sein Schlafbedürfnis fördern würden.
Ich selbst hatte nie
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