Nebenweit (German Edition)
Restaurant, denn ich glaube, wir haben einander viel zu sagen. Außerdem habe ich Hunger«, schlug ich ihm vor und erhob mich vom Barhocker und winkte dem Barmann zu, mir die Rechnung zu bringen.
Tanabe war sofort einverstanden und empfahl ein Lokal in der Nähe, wo wir kurz darauf Platz nahmen.
Nachdem wir bestellt hatten, musterte er mich erwartungsvoll und fragte dann: »Wer fängt an?«
Ich musste lachen. »Da ich Sie entdeckt habe, kommt das vielleicht mir zu«, meinte ich. Ich nahm einen Schluck Bier und begann mit meiner Geschichte. Ich ließ nichts aus, schilderte meine Gespräche mit Dupont, meine persönlichen Erlebnisse und ebenso meine Sorge, verschleppt zu werden. Tanabe hörte mir schweigend zu. Ich musste wohl eine halbe Stunde geredet haben, als ich bei Frederic Mortimers Auftauchen in Unterwössen und kurz darauf seinem Verschwinden angelangt war. »Ich denke, das wäre alles«, schloss ich und sah Tanabe erwartungsvoll an. »Und jetzt Sie.«
Tanabe nickte. Er wies auf die Portion shabu-shabu, die vor mir stand, Rindfleischstreifen in pikanter Soße, und forderte mich auf zu essen. »Sie hatten doch Hunger«, erinnerte er mich. »Jetzt haben Sie die ganze Zeit geredet, und Ihr Essen wird kalt.
Angefangen hat alles damit, dass ich eines Tages, das ist jetzt bald drei Jahre her, bei einer Wanderung am Hakonesee plötzlich ein Schwindelgefühl hatte, stehen blieb, mich an einem Baum stützte und den Eindruck hatte, mein Innerstes werde nach außen gekehrt. Nach ein paar Minuten war das wieder vorbei, und ich ging weiter. Ich war allein – Sie müssen wissen, ich bin Junggeselle, habe nie geheiratet –«, schob er ein, »und als ich in den Bus steigen wollte, passte dem Schaffner meine Fahrkarte nicht. Es gab einen Wortwechsel, und ich erbot mich schließlich, den Fahrpreis noch einmal zu entrichten, und da wurde es noch schlimmer, denn der Schaffner konnte mit meinem Geld nichts anfangen. Die Situation fing an, unangenehm zu werden, denn um die Zeit war viel von ausländischen Spionen die Rede, und ich hatte Angst, man könne mich als solchen verdächtigen. Ich ließ den Bus also stehen, schlug mich in die Büsche und schlich mich am Abend ins nächste Dorf und stahl dort von einem Kiosk eine Zeitung.
Als ich die las, kam mir der erste Verdacht. Was in der Zeitung stand, passte ganz und gar nicht zu dem, woran ich mich erinnerte. Da war von Truppen in China, Kampfhandlungen in der Mandschurei und Spannungen mit Britannia die Rede … Da kam mir zum ersten Mal der Gedanke: ›Parallelwelt‹. So wie es Ihnen erging, als Sie aus dem Supermarkt in Ihrem Heimatdorf kamen«, schob er ein und sah mich erwartungsvoll nickend an, wie es Japaner im Dialog gern tun.
Als ich ebenfalls nickte, fuhr er fort: »Ich fuhr per Anhalter nach Tokio zurück und suchte meine Wohnung auf. Aber da stand ein anderer Name an der Tür und der Hausmeister erkannte mich nicht. Er schlug mir vor, zur Polizei zu gehen, aber das schien mir zu riskant, also verbrachte ich die Nacht auf einer Parkbank. Zum Glück war es Sommer und warm genug, um im Freien zu schlafen. Am nächsten Tag ging ich zu einem Pfandleiher, wo ich meine goldene Rolex versetzte. Dafür bekam ich genug, um ein paar Wochen davon leben zu können.
Ich nahm mir ein Hotelzimmer und hörte Nachrichten, las Zeitung und überlegte, wie ich meinen Lebensunterhalt verdienen sollte …«
Ich unterbrach ihn. »Haben Sie in dieser Welt kein Pendant, ich meine einen Masao Tanabe, der in dieser Welt lebt?«
»Nein, in dem Punkt unterscheiden wir uns. Sie haben recht, in Ihrer und meiner Welt bin ich Schriftsteller. Es stimmt auch, dass ich den Roman ›Wolken über dem Mars‹ geschrieben habe, der auch ins Englische übersetzt worden ist, aber in dieser Welt gibt es den Schriftsteller Tanabe nicht. Genauer gesagt, es gab ihn bis zu ›Hiroshima‹ nicht. Aber lassen Sie mich fortfahren. Ich überlegte also, wie ich mich über Wasser halten und meinen Lebensunterhalt verdienen sollte.« Dabei huschte ein Lächeln über sein Gesicht.
»Mir war klar, dass die Sicherung meiner Existenz Vorrang vor allen Versuchen haben musste, wieder in meine Welt zurückzukehren. Also beschloss ich, es mit Übersetzungen zu versuchen. Wir Japaner sind ja bekanntlich nicht sonderlich sprachbegabt, und deshalb gibt es dafür immer einen Markt. Da ich ein paar Semester an der Berkeley University in den USA studiert habe, beherrsche ich die Sprache fließend, wie Sie ja bemerkt haben,
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