Nebenweit (German Edition)
Probleme, auf längeren Flügen zu schlafen, und erwachte auch erst, als die Crew die Kabinenbeleuchtung einschaltete, um das Frühstück zu servieren. Mein Sitznachbar entschied sich schlaftrunken für ein japanisches Frühstück, das aus grünem Tee und irgendwelchen Algengerichten bestand, war aber noch recht wortkarg, was mir recht war. Ich begnügte mich mit einem Croissant und Kaffee und blickte dann auf die unter mir vorbeiziehenden Reisfelder hinab. Bald setzte die Maschine zum Sinkflug an, wobei zu meiner Überraschung unter uns bereits Ausläufer von Tokio zu sehen waren. Dabei erinnerte ich mich doch, dass Narita, der Flughafen der Millionenstadt, weit außerhalb mitten in bewaldeter Landschaft lag. Die Ansage des Kapitäns belehrte mich eines Besseren, als er mitteilte, dass wir in einer Viertelstunde auf dem Haneda-Airport landen würden, einem Flughafen in Stadtnähe, der nach meiner Erinnerung schon seit annähernd dreißig Jahren dem Inlandsverkehr vorbehalten war. Aber das galt möglicherweise nur in der Welt, in der ich zu Hause war.
Beim Aussteigen verabschiedete ich mich von Nobuto-san, der mir einen angenehmen Aufenthalt wünschte, und reihte mich am Einreiseschalter in die lange Schlange ausländischer Reisender ein, die dort ihre Pässe vorweisen und sich den nicht besonders freundlichen und in miserablem Deutsch oder Englisch gestellten, ziemlich sinnlosen Fragen der Beamten stellen mussten.
Als diese Prozedur erledigt war und ich mein Gepäck vom Band geholt hatte, stieg ich in ein Taxi, wobei mir erneut klar wurde, dass dies ein anderes Japan war als jenes, das ich vor acht Jahren das letzte Mal verlassen hatte. Der Fahrer trug zwar die obligatorischen weißen Baumwollhandschuhe und war auch beim Verstauen meiner Reisetasche behilflich, sprach aber kein Wort Englisch. Das Taxi selbst, ein gelber Toyota, war offensichtlich für Japaner gebaut, nicht jedoch für einen Meter achtzig große Gajin, wie man Europäer und Amerikaner in Japan zu bezeichnen pflegt. Ich zog die Knie an und war dafür dankbar, dass die Fahrt nur etwa zwanzig Minuten dauern würde, nicht eineinhalb Stunden, wie das bei einer Ankunft in Narita der Fall gewesen wäre.
Wir rollten im dichten Verkehr durch graue Industrielandschaften, und ich stellte fest, dass es die Monorailbahn, die man zur Olympiade 1966 gebaut hatte, offenbar hier nicht gab. Möglicherweise hatte es auch eine solche Olympiade in Japan zu dem Zeitpunkt gar nicht gegeben, überlegte ich. Schließlich hatte die Völkergemeinschaft meiner Welt ja auch weder 1940 noch 1944 Olympische Spiele veranstaltet. Und 1966 war Japan noch ein Außenseiter der Völkerfamilie gewesen. Ich nahm mir vor, darüber bei nächster Gelegenheit nachzulesen. Auch sonst war einiges anders, als ich es in Erinnerung hatte. Zum einen waren das die vielen kleinen Autos, zwischen denen die seltenen Limousinen meist deutscher Herkunft deutlich hervorstachen, zum anderen die Tatsache, dass die allgegenwärtigen, bunten Reklametafeln ausschließlich mit japanischen Schriftzeichen bedeckt waren. Ich konnte auch keinerlei Werbung für irgendwelche nicht-japanischen Produkte erkennen. Auch die Straßenschilder waren ausschließlich japanisch gehalten. Während meines Aufenthalts vor acht Jahren waren alle wichtigen Straßenschilder in Tokio zweisprachig gewesen, sodass ich mich einigermaßen sicher hatte bewegen können. Wir fuhren inzwischen am Shimbashi-Bahnhof vorbei und rollten in Richtung Marounouchi-Distrikt. Zu meiner Linken ragte die eindrucksvolle Umfriedung des Kaiserpalastes aus dem Grün des ihn umgebenden Parks, und kurz darauf hielt das Taxi vor meinem Hotel an.
An der Rezeption begrüßte man mich mit einer tiefen Verbeugung, worauf mir ein uniformierter Page die Reisetasche abnahm und mich in mein Zimmer im achten Stock begleitete. Ein wohltuender Kontrast zu der mürrischen Behandlung am Flughafen , dachte ich. Bis jetzt hatte ich keinen einzigen Europäer gesehen, und die Zimmermädchen auf den Gängen hielten sich kichernd die Hand vor den Mund und verbeugten sich, als ich an ihnen vorbeiging, ein Verhalten, an das ich mich von Reisen ins Landesinnere erinnerte, das aber im kosmopolitischen Tokio meiner Erinnerung längst der Vergangenheit angehörte.
Nachdem der Page mir, natürlich auf Japanisch, ohne zu bedenken, dass ich mutmaßlich kein Wort seines Redeschwalls verstand, die Wasserhähne im Bad und die Bedienung von Fernseher und Kühlschrank erläutert hatte
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