Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
der Feste eine ungewohnte Stille – ein regloses, abwartendes Verharren, alles schien auf schwer zu beschreibende Weise den Atem anzuhalten. Nestor schlich wie ein hageres, graues Gespenst umher und erteilte teilnahmslos seine Befehle, in denen nicht mehr das Geringste von seiner einstigen Autorität lag. Es gebrach ihm an Willenskraft, und nichts war mehr von dem Grauen vor der Kunst des Nekromanten zu spüren. Denn nicht anders als ihr Gebieter kamen seine Leutnants und Knechte daher, als habe sie die gleiche merkwürdige Krankheit gepackt ...
Unten in den finsteren Stockwerken von Gorvisumpf hingegen befand sich Gorvi der Gerissene in heller Aufregung. In seinen erdnahen Geschossen herrschte eine Betriebsamkeit, wie seine Feste sie noch nie erlebt hatte! Jammernde Krieger wurden vor der Zeit aus ihren Bottichen gezerrt, Kessel voller Urin und Abfälle an die Mordlöcher über den Eingängen geschafft und Reisigbündel darunter aufgeschichtet, die man nur noch anzuzünden brauchte. Vor den Fenstern und Landebuchten wurden mit Eisendornen versehene Gitter angebracht, und auf Gorvis Weisung hin legten sich erdgebundene Krieger in den Geröllschluchten vor den Zugängen auf die Lauer und warteten.
Ähnliches geschah in Wrans und Spiros Irrenstatt, allerdings mit einem bedeutsamen Unterschied. Denn die Gebrüder Todesblick arbeiteten nicht mehr Hand in Hand. Wrans Streitkräfte verteidigten die nördliche und südöstliche Hälfte der Irrenstatt und Spiros Truppen den westlichen Teil. Wäre Vormulac zu guter Letzt nicht doch eingetroffen, wären sie sich wahrscheinlich schon längst gegenseitig an die Gurgeln gegangen. Spiros böser Blick trug die Hauptschuld daran, oder vielmehr die Tatsache, dass er über ihn verfügte, Wran hingegen nicht. Denn Wran hatte schon immer gern den Älteren herausgekehrt, und Spiro hatte nicht vor, sich weiterhin herumkommandieren zu lassen. Entweder waren sie einander ebenbürtig und hatten gleiche Rechte, oder aber es war aus. Und gerade dies ging eben nicht, weil Wran sich gegenüber seinem Bruder als der Überlegene fühlte. Und Spiro wiederum war beleidigt, denn schließlich hatte er den bösen Blick ihres Vaters geerbt. Aus seiner Sicht sah es so aus, dass Wran nun der Rangniedrigere war, denn die Lage hatte sich nun einmal geändert. Und für Wran ...
Er erinnerte sich nur zu gut daran, wie die Grausamkeiten des alten Eygor mit dessen wachsender Machtfülle zugenommen hatten. Und Spiro war bereits erfüllt von einem völlig neuen Selbstvertrauen. Während Wran dem Kampf, der ihnen bevorstand, mit Sorge entgegenblickte, schien sein Bruder es kaum noch erwarten zu können. Was nur verständlich war, denn endlich würde er eine Gelegenheit bekommen, seinen im wahrsten Sinne des Wortes »herzzerreißenden« Todesblick zu üben. Doch was, wenn der Kampf vorüber war, wie auch immer er ausgehen mochte? Würde Spiro in Eygors Fußstapfen treten? Nur über seine Leiche, sagte sich Wran, denn dazu hatte er zu sehr unter dem Blick seines Vaters gelitten. Sollte sein Bruder ihn je seine Macht spüren lassen, würde dies sein, nämlich Spiros, Ende bedeuten. Doch vielleicht musste es ja gar nicht so weit kommen, oder womöglich früher als gedacht. Von nun an sollte Spiro Wran dem Rasenden besser nicht den Rücken zuwenden ...
Dies war der Stand der Dinge in der Irrenstatt. In der Wrathspitze hingegen war Lady Wratha keine Veränderung anzumerken. Sie bewahrte als Einzige unter ihnen einen kühlen Kopf. Und dies war auch gut so, schließlich musste sie einen Krieg vorbereiten, und zwar einen, den sie auf jeden Fall gewinnen musste. Sie verschwendete noch nicht einmal einen Gedanken daran, dass sie womöglich verlieren könnte, denn sie wusste, welche Folgen eine Niederlage nach sich ziehen würde. Sie entsann sich an Glina, Nestors Liebessklavin, wie sie auf einmal in Flammen stand und in der sengenden Glut der Sonne langsam verschmorte. Dabei war sie vergleichsweise neu gewesen. Und Wratha? Selbst ihre Knochen würden zu schwelen beginnen, wenn sie der vollen Kraft der Sonne ausgesetzt wäre, und all ihre Körperflüssigkeiten innerhalb eines Lidschlags verdampfen.
Wratha lief ein Schauder über den Rücken. Ja, auch ihr würde es nicht anders ergehen. Denn ihr war klar, dass Vormulac mit ihr genauso verfahren würde, wie er es bereits an anderen vorexerziert hatte. Lord Ohneschlafs Wappen sagte doch alles – der Gehängte oder vielmehr, was von ihm übrig war, das rußgeschwärzte, in
Weitere Kostenlose Bücher