Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
Ketten gelegte Skelett eines Mannes, dem das verfaulende schwarze Fleisch in Fetzen von den Knochen hing!
Doch an so etwas durfte sie jetzt nicht denken ... sie hatte einen Krieg vorzubereiten ... die anderen würden wohl bereits darauf warten, dass sie sie zusammenrief, um ihnen ihre Strategie darzulegen – beziehungsweise um ihnen zu eröffnen, dass sie gar keine hatte! Einen Augenblick lang war sie wütend – auf sich selbst, darauf, dass sie sich gestattete, ihre Gedanken abschweifen zu lassen, jetzt, wo doch so viel zu tun war. Aber es waren nun einmal nicht nur merkwürdige, sondern auch gefährliche Zeiten, und es gehörte schon einiges an Kraft dazu, sich einfach aufrecht hinzustellen und die Verantwortung auf sich zu nehmen. Oder waren es etwa die Jahre, die sie niederdrückten? Mit einem Mal wurde der Lady bewusst, wie alt sie eigentlich war ... Prompt spürte sie ihren Egel vor Zorn zusammenzucken!
Das war ihr schon lange nicht mehr passiert; es erinnerte sie, gerade noch rechtzeitig, daran, dass sie eine Wamphyri war!
Verschlagen, zäh und langlebig – Wamphyriii!
Und? Wie lange lebte sie denn schon? Sie war keine alte Frau, sondern ein junges Mädchen! Und solange es Blut gab, würde sie ewig jung bleiben!
Ihr Egel beruhigte sich wieder ein bisschen und fing an, ihr seine Vampiressenz in die Adern zu pumpen. Seine Wirtin war stark, es gab nichts zu befürchten. Vor ihnen beiden erstreckte sich eine endlose Reihe blutiger Jahre.
Dennoch begann die Lady auf einmal, noch während sie sich ihre Pläne zurechtlegte, auf die Geräusche in der Feste zu lauschen. Alles fühlte sich irgendwie ... falsch an. Sie ließ ihre Gedanken schweifen und ... fühlte ... fühlte ...
Gorvi war ein Feigling. Er setzte alles daran, jeden Zugang zu verrammeln, ohne einzusehen, dass er sich damit selbst jeden Fluchtweg verbarrikadierte. Die Gedanken Wrans und Spiros waren voller Hass – aufeinander nicht minder als auf ihre Feinde! Aber allem, was man immer über sie sagte, zum Trotz, waren sie keineswegs wahnsinnig, es sei denn im Kampf, wenn sie die Beherrschung verloren und wüteten wie die Berserker. Was allerdings den Hunde-Lord in der Räudenstatt betraf, Canker und seine infernalische Mondmusik – ein und dieselbe einfache Szganyweise, die er immer und immer wieder und jedes Mal lauter auf seinem Knocheninstrument spielte – oh, der war mit Sicherheit verrückt und verlor mit jeder Minute mehr von seinem Verstand! Anscheinend war der Schlag, den er abbekommen hatte, der letzte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Und dann war da noch Nestor.
Doch von dem jungen, nun nicht mehr ganz so hübschen Lord Leichenscheu aus der direkt unter ihr liegenden Saugspitze hatte sie in letzter Zeit nicht allzu viel gesehen. Und hinter seinen Wachstüchern, in die er sich einhüllte wie eine Mumie, war nur ein leerer mentaler Widerhall zu vernehmen, der wie ein düsterer Schleier über seinen Gedanken lag, eine Hoffnungslosigkeit, die nichts mit dem bevorstehenden Krieg zu tun hatte. Vielleicht lag es an seinen Fähigkeiten als Nekromant (einer bestenfalls zweifelhaften Kunst), dass ihn eine so unheilschwangere Aura umgab. Auf jeden Fall konnte niemand die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, übersehen. Einen winzigen Augenblick lang empfand Wratha einen merkwürdigen Stich, ein unerklärliches Gefühl tief im Innern, das sie nicht zu ergründen vermochte. Bedauerte sie es etwa ...
... dass er nicht der Mann war, für den sie ihn gehalten hatte?
Selbstverständlich war er das nicht; er war nichts als ein dummer Junge! Und was seine Misha auf der Sonnseite anging: Wie rasch sich eine Sachlage doch ändern konnte! Diese Misha interessierte sie im Moment nicht im Geringsten. Und auch die Lidescis nicht! Dafür war später immer noch Zeit, wenn sie erst mit diesem hergelaufenen Haufen aus Turgosheim fertig war, sofern es ein Später geben sollte.
Das gab es aber garantiert nicht, wenn sie jetzt nicht ihren Kriegsrat einberief.
Genug!
Sie sandte ihre Vertrauten, die Fledermäuse, aus, um die anderen hinauf in die Wrathspitze zu rufen ...
Sie waren wieder Wanderer.
Es war schon geraume Zeit her, genauer gesagt: siebzehn Jahre, seit Lardis Lidesci sein Volk von Siedeldorf aus in die Wälder geschickt hatte. Damals ... war es lediglich eine Vorsichtsmaßnahme gewesen; die Wamphyri waren unter Shaitan dem Ungeborenen aus den Eislanden zurückgekehrt, und es hatte akute Gefahr bestanden. Aber
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