Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
Waldes musterte Lardis ihn aus seinen alten, weisen Augen, die daran gewöhnt waren, die Nacht der Sonnseite zu durchdringen (und womöglich, dachte Nathan, auch die verschlungenen Gedankengänge so manch eines Menschen). Doch nach einem Moment nickte der alte Lidesci, wenn auch mit einem Stirnrunzeln, und meinte: »Na gut, also später! Vielleicht ...«
»Wo ist meine Mutter denn abgeblieben?«, wollte Nathan wissen. »Ich glaube, ich muss sie noch etwas fragen.«
»Ziemlich weit hinten, am Ende des Zuges, bei Misha und den Alten.« Lardis deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Ich habe ihnen eine Handvoll kräftiger Burschen mitgegeben, die ihnen die Schlitten ziehen und das Gepäck schleppen können.«
»Dann komme ich später noch einmal nach vorn«, erwiderte Nathan und trat einen Schritt zur Seite, um die Kolonne vorbeizulassen. Mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, ließ er die lange Reihe der Traveller an sich vorüberziehen und versuchte, ein bisschen Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Doch dies war leichter gesagt als getan, denn ihm ging vieles durch den Kopf.
Zum einen die Waffen.
Anscheinend hatte er irgendwo eine der Spezialarmbrüste verloren. Angesichts der ganzen Kämpfe, in die er verwickelt gewesen war, überraschte ihn das nicht weiter. Vielleicht fand sie sich später ja wieder ein. Was nun die anderen fünf anging: Lardis und Andrei hatten je eine, eine hatte Nathan für sich reserviert, und zwei weitere waren irgendwo entlang der Strecke von Radujevac zum Zufluchtsfelsen deponiert. Wahrscheinlich befanden sie sich in einem der beiden Packen, die er zwischen die übereinandergestürzten Felsen auf der Sternseite gestopft hatte, vielleicht aber auch in dem Bündel, das er im Ginstergestrüpp oben auf dem Zufluchtsfelsen versteckt hatte. Nein, dort bestimmt nicht; er konnte sich nicht entsinnen, dass bei dieser Ladung irgendwelche Armbrüste dabei gewesen wären. Und da sie sich auch nicht in den Bündeln aus der Höhle der Uralten befunden hatten, konnten sie nur drüben auf der Sternseite, auf der Findlingsebene sein. Und dort konnten sie ruhig bis morgen bleiben, mitsamt den übrigen Waffen, die jene vorübergehend ihrem Schicksal überlassenen Packen enthalten mochten. Bei all seinen Fähigkeiten würde Nathan doch niemals einen Möbiussprung in die unmittelbare Nähe eines verwundeten Kriegers erwägen! Hätten die Bündel sich auf freiem Feld befunden ... dann würde sich vielleicht ein kurzer Besuch lohnen, um sie zu schnappen und gleich wieder zu verschwinden. Aber dies kam auf gar keinen Fall in Betracht, wenn er erst zwischen den Felsen herumklettern musste, um nach ihnen zu suchen.
Dann war da noch der Raketenwerfer, mit dem er von der Kuppe des Zufluchtsfelsens in die Tiefe gestürzt war. Den musste er abschreiben. Beim Aufprall auf den Boden war er zweifellos in tausend Stücke zerbrochen. Damit blieb ein Raketenwerfer übrig, der sich ebenfalls noch in dem Versteck auf der Findlingsebene befand. Und oben auf dem Felsen lagen noch die Splittergranaten, ein leichter Flammenwerfer, eine Maschinenpistole und Munition dazu. Auch diese Waffen mussten vorerst wohl liegen bleiben, zumindest so lange, bis der Mond aufging. Nathan hatte keine Lust, allein bei Sternenlicht dort oben herumzustolpern.
Er hatte gesehen, welche Waffen seine Gefährten aus den Höllenlanden mit sich führten: John Carling hatte ein Selbstladegewehr, die übrigen Höhlentaucher trugen Maschinenpistolen, desgleichen Trask, Chung und Anna Marie. Zusätzlich verfügten die meisten nun auch über Splittergranaten, mit denen sie sich die Taschen vollgestopft hatten. Lardis hatte sich ebenfalls mit Granaten versorgt, außer ihm durfte jedoch niemand sie anfassen. Die übrigen erfahrenen Männer des alten Lidesci konnten bis zum Morgen warten, bis Nathan oder jemand vom E-Dezernat Zeit fand, ihnen den Umgang mit den Waffen beizubringen. Für mehr als ein paar Grundbegriffe würde es allerdings nicht reichen, nicht solange über die Hälfte von Nathans Arsenal weit verstreut an schwer zugänglichen oder gar gefährlichen Stellen herumlag.
Im Schatten seines Baumes nickte Nathan einmal kurz mit dem Kopf. Das musste genügen, weiter konnte er im Augenblick nicht planen. Er musste entweder bis Sonnauf warten oder doch wenigstens so lange, bis der Mond am Himmel stand, und dann, sobald sich eine Gelegenheit dazu ergab, die Waffen holen. Damit würde er den Szgany Lidesci eine nie gekannte Macht verleihen. Doch
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