Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
näherte sich auch Anna Marie ihrem eigentlichen Alter an – allerdings in umgekehrter Richtung! Als Teenager hatte sie stets erschöpft und abgespannt gewirkt, und mit vierzig wirkte sie alt. Doch wenn der Planet sich weiter in seinem gegenwärtigen Tempo erholte, würde es eines Tages noch so weit kommen, dass sie als Sechzigerin jung aussah!
Was nun ihr Talent anging (konnte man es denn wirklich als Talent betrachten, fragte sich Trask, oder war es nicht vielmehr ein Fluch?): So wie ein Empath mit seinen Mitmenschen empfindet, empfand Anna Marie mit der ganzen Welt. Sie war eins mit Mutter Erde. Wenn an den Bodenschätzen der Antarktis Raubbau betrieben wurde, entzog ihr dies jede Energie. Wurden die Regenwälder zerstört, um Holz für die kommerzielle Nutzung oder gar Brennholz zu gewinnen, fühlte auch sie sich verletzt und ausgebrannt. Mit jedem Delfin, den die Japaner noch immer illegal töteten, litt sie Todesqualen, und anhand der Leberflecken und Falten auf der vertrockneten Haut ihrer spindeldürren Arme konnte sie nachzählen, wie viele getötet wurden. Wenn im Pazifik ein riesiger atomgetriebener Frachter sank, schmerzten ihre Knochen in demselben Maß, wie die radioaktive Strahlung nach außen drang und den Meeresgrund verseuchte. Und wenn wieder einmal neue Löcher in der Ozonschicht klafften, wurden Anna Maries Eingeweide von Geschwüren zerfressen.
Doch hier draußen in dem Kinderheim in Rumänien zu arbeiten, tat ihr gut. Hier konnte sie wenigstens Gutes tun, etwas, was sich auch lohnte. Und indem sie etwas für diese armen Kinder und Jugendlichen tat, half sie auch sich selbst. Immerhin waren sie Kinder von Mutter Erde, und sie kümmerte sich um sie. Und Trask gefiel der Gedanke, dass die Erde den Gefallen vielleicht – auf ihre Art – erwidern würde ...
»Die CMI?«, entgegnete er schließlich. »Ich weiß, dass sie in London waren. Aber ... habe ich irgendetwas nicht mitbekommen?« Fragend blickte er Chung an.
»Auf dem Flughafen in Belgrad waren sie ebenfalls«, erklärte Chung. »Und sie waren offensichtlich enttäuscht, dass ich ohne Nathan dort aufkreuzte – sehr enttäuscht. Sie haben mich eine ganze Zeit lang verhört. Deshalb habe ich mich verspätet.«
»Das könnte bedeuten, dass noch eine Menge Ärger auf uns wartet«, warf Anna Marie ein. »Und dann ist da natürlich noch Turkur Tzonov. Auch er hat seine Leute hier in Rumänien. So wie ich die Sache sehe, können wir Nathan nicht allzu lange hier behalten. Hier ist er nicht sicher. Nicht solange die CMI oder die Gegenseite – oder meinetwegen auch beide – verzweifelt genug vorgehen.«
Trask grunzte. »Als ich Tzonov das letzte Mal sah, war er ziemlich verzweifelt. Das war vor zirka ... hm, zwei Minuten? Aber das dürfte mittlerweile vorüber sein. Jetzt ist er unterwegs nach Starside. Aber ich weiß, was du meinst. Seine Agenten werden aktiv sein wie eh und je und jedes Vorgehen, das er ihnen aufgetragen hat, umsetzen. Was die CMI angeht: Ich nehme an, Ian Goodly wird ihnen im Moment gerade die Hölle heiß machen! Aber wie dem auch sei, macht euch keine Sorgen. Nathan wird sich hier nicht lange aufhalten. Nicht, wenn alles nach Plan läuft.« Fragend sah er Anna Marie an, und sie nickte.
Indem sie sie aus dem Zimmer hinein in den Komplex des Heimes führte, erwiderte sie: »Es ist alles vorbereitet. Nur ... wollte Nathan nicht ein paar Waffen mitnehmen?«
»Das will ich immer noch«, erklärte Nathan. »Alles, was ich benötige, befindet sich zu Hause beim E-Dezernat. Ich muss noch einmal zurück, um es zu holen.«
Da wandte Trask jedoch rasch ein: »Äh ... vielleicht wird es nicht ganz so einfach werden, Nathan. Nicht nach allem, was geschehen ist.« Und zu Anna Marie: »Unser Plan sah vor, dass Nathan, sobald er erst einmal die Koordinaten des Heimes hatte, ganz nach Belieben« – er zuckte die Achseln – »kommen und gehen könnte. Dann hätte er seine Waffen Stück für Stück über die Möbiusroute herschaffen können. Mehr wäre es nicht gewesen. Vielleicht besteht immer noch die Möglichkeit dazu; es hängt ganz von der Situation zu Hause beim E-Dezernat ab.«
Als er geendet hatte, waren sie beim Büro der Verwaltung angelangt, gerade rechtzeitig, um das erste Läuten des Telefons mitzubekommen. Der Anruf kam aus London, vom E-Dezernat, Ian Goodly wollte Trask sprechen. Anna Marie reichte ihm das Telefon.
»Hallo, Ben am Apparat«, sagte Trask. »Läuft das Gespräch über den Zerhacker?«
Das tat es,
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