Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
auf fremdem Boden.
Nachdem das Wasser zunächst den Engpass des Sicherheits- beziehungsweise »Reinigungssystems« passiert hatte, kam es aus der unterirdischen Senkgrube in einem großen lilienbewachsenen Teich unterhalb der Ostmauer wieder zum Vorschein. Von dort floss es durch eine tiefe Betonschleuse in die Donau, wobei es in der trockenen Jahreszeit einen seichten Bach bildete, wenn der Regen kam allerdings zu einem regelrechten Strom anschwoll.
Das Heim in Rumänien erfüllte also seine wesentliche Aufgabe, und wenn dessen Mitarbeiter sich selbst als »Hüter des Tores« bezeichneten, so geschah dies nur halb im Scherz. Aber die ihrer Fürsorge unterstellten Kinder dienten nicht einfach der Tarnung. Ihre Betreuung war stets ausgezeichnet gewesen, und solange Anna Marie English das Sagen hatte, war dies auch weiterhin garantiert. Waisen, Krüppel, sozial benachteiligte Jugendliche – all diese Bezeichnungen trafen auf jeden Einzelnen zu, und in manchen Fällen hätte man sie sogar »Insassen« nennen können – bewohnten die beiden oberen Stockwerke des Heimes. Ihre Klassenzimmer, Werkstätten und Freizeiteinrichtungen befanden sich auf der unteren Ebene. Dort waren auch die Mitarbeiter untergebracht, direkt über der Stelle, an der der Fluss ursprünglich wieder zu Tage getreten war. Das gelegentliche Aufheulen der Turbinen drang nicht durch den enorm verstärkten, schalldichten Stahlbetonboden.
Der Raum, in dem Trask und Nathan aus dem Möbiuskontinuum aufgetaucht waren, war kaum mehr als eine Abstellkammer, die vom inneren Korridor der mittleren Ebene abzweigte. Anna Marie hatte angeordnet, sie auszuräumen, damit Nathan genügend Platz hatte, seine Arbeit zu erledigen. Ihr Verwaltungsbüro befand sich auf demselben Stockwerk, mit einem großen nach Süden hin gelegenen Fenster. Als Chung, Trask und Nathan einen Blick hinauswarfen, konnten sie über den sonnenbeschienenen Fluss bis nach Bulgarien auf der einen Seite und nach Jugoslawien im Osten sehen. Doch Grenzen spielten mittlerweile ja keine große Rolle mehr, und so war die Landschaft, die sie betrachteten, nichts weiter als eine ländliche Gegend.
Vom Verwaltungsbüro waren sie hinabgestiegen ins Erdgeschoss des Heimes, und von einer Turnhalle aus, in der ein Sportlehrer mit einigen der Schüler ein Fitnesstraining absolvierte, hatten sie durch die hohen Fenster über einen großen mit Tischen und Stühlen bestückten Balkon nach Osten geblickt, wo sich eine Kiesauffahrt durch die Gärten bis zu den Bäumen und direkt zu den eisernen Sicherheitstoren wand, die in den hohen Zaun eingelassen waren. Im Großen und Ganzen zumindest war die Anlage wohl sicher. Allerdings nicht vor einer Hand voll zu allem entschlossener Männer.
Dies war der Augenblick, in dem Trask entschied: »Das da draußen sieht mir alles viel zu friedlich aus – da stimmt etwas nicht!« Es war sein Talent, das sich meldete und ihm verriet, dass all dies eine Lüge war. »Wir werden observiert. Die ganze Anlage steht unter Beobachtung. Wahrscheinlich Tzonovs Leute. Oder die CMI ...« Anna Marie zitierend, fügte er hinzu: »... oder beide. Du hast Recht: Wir müssen Nathan hier rausschaffen, und zwar so bald wie möglich.«
Sie machten sich nicht mehr die Mühe, das Untergeschoss zu besichtigen (Anna Marie erklärte Trask, dass da unten ohnehin alles sehr ruhig und düster sei, wie im Magen einer hungrigen, geduldig im Winterschlaf verharrenden Bestie), sondern ließen David Chung im Verwaltungsbüro zurück, um Anrufe entgegenzunehmen, und stiegen ins Obergeschoss des Heimes hinauf. Dort lernte Trask einige Mitglieder der Belegschaft kennen, Leute, die auch tatsächlich waren , was sie zu sein vorgaben: Lehrer, Krankenschwestern, Physio- und Psychotherapeuten, Menschen, die sich etwas aus ihrem Beruf machten und auch aus den Kindern, für die sie es taten. Doch unter diesen Fachleuten befanden sich auch andere, angeblich »Praktikanten«. Und dies waren Trasks Männer, dem E-Dezernat von verschiedenen Sicherheitsdiensten zur Verfügung gestellt, auf Herz und Nieren sicherheitsüberprüft und auf absolute Geheimhaltung eingeschworen.
Es handelte sich um Exmarinesoldaten – Höhlentaucher, sowohl Profis als auch Amateure, Experten, was unterirdische Erkundungen und Unterwasserausrüstung anging, und Trask hatte sie ihre Aufgaben turnusmäßig wechseln lassen, seitdem das Heim existierte. Dies waren die Männer, die mit den Geräten tief im Innern der Anlage umgehen würden,
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