Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
ab?
Darauf fragte er sich: War es das? Ließ ihn jetzt nicht nur sein Körper, sondern auch noch sein Geist im Stich? Denn Nathan und dessen Zahlenwirbel waren nicht der einzige Fluch, mit dem Nestor Leichenscheu zu kämpfen hatte, und das Wesen in seinem Körper erfüllte ihn mit weit größerer Angst als irgendein Geisteszustand, den er sich womöglich nur einbildete. Oh ja! Denn Letzteren mochte er zwar durchaus in Zweifel ziehen; das Wesen in seinem Körper dagegen war unzweifelhaft real.
Und doch hatten beide Plagen ein- und denselben Ursprung, eine unglückselige Nacht vor etwa achtzehn Sonnuntern, als er mit Zahar auf der Sonnseite Jagd machte ... Jagd auf seinen Erzfeind, Nathan, und auf eine verräterische Lidesci-Schlampe namens Misha.
Und während die Wamphyri-Lords und ihre Luftstreitmacht dem Zufluchtsfelsen zustrebten, wanderten Nestors Gedanken zurück in die Vergangenheit, zu den Schrecknissen jener Nacht. Doch er wünschte sich gewiss nicht an all die furchtbaren Nächte zu erinnern, die seither verstrichen waren ...
Der Hunde-Lord Canker Canisohn, der von Zeit zu Zeit aus Träumen die Zukunft las, hatte Nestor davor gewarnt, es zu tun. Doch der Nekromant hatte nichts davon wissen wollen. Sein Erzfeind befand sich auf der Sonnseite, und Nestor hatte die Absicht, ein für alle Mal mit ihm abzurechnen.
Canker sollte Recht behalten, der Überfall endete in einer Katastrophe. Nestors Flieger wurde verkrüppelt. Das halbe Gesicht wurde ihm weggeschossen und das winzige Gehirn schwer beschädigt. Auch Nestor war schwer verletzt, halb geblendet vom Silberschrot aus einer Schrotflinte der Lidescis. Allein die Zähigkeit der Wamphyri und reine Willenskraft hatten ihn im Sattel gehalten, als seine sterbende Bestie südwärts glitt und über den Wäldern an Höhe verlor.
Dann der Absturz ... die Bewusstlosigkeit .. das allmähliche Erwachen. Ein bisschen Schmerz, auf den er am besten nicht weiter achtete. Die Wamphyri verdrängen Schmerzen zumeist. Sie leiden schweigend, während ihr Parasit sich um die Heilung kümmert. Doch der Ort, an dem er erwachte: eine Aussätzigenkolonie!
Lepra! Der große Fluch eines jeden Vampirs!
Aus Furcht und Abscheu hatte Nestor die Flucht ergriffen, zugleich war er vor den tödlichen Strahlen der aufgehenden Sonne geflohen, tief in die Wälder, in eine Höhle am Ufer eines Flusses, wo er den langen Sonnseitentag verschlafen und seine Fieberträume geträumt hatte. Und während er sich im Schlaf stöhnend hin und her warf, hatte tief in seinem verwundeten Fleisch sein Egel mit dem metamorphen Heilungsprozess begonnen.
Bei Einbruch der Nacht hatte er sich auf den Weg zur Sternseite gemacht, und hoch oben im Grenzgebirge hatten ihn sein Gefolgsmann Zahar und Canker Canisohn aufgelesen. Allem Anschein nach gab Lord Nestor gar kein so schlechtes Bild ab (nun, ein paar Kratzer und ein, zwei Narben, und die tiefste davon würde er vielleicht als Andenken behalten), aber er ließ kein Wort darüber verlauten, wie er den vorherigen Tag und die Nacht überlebt hatte. So kehrte er in die Saugspitze zurück, seine Stätte im letzten großen Felsenturm der Wamphyri.
Und ... er hegte nicht den geringsten Wunsch, sich daran zu erinnern, was als Nächstes gekommen war. Nicht hier und jetzt, mit so vielen scharfsinnigen Wamphyri ringsum. Womöglich hatte er sich bereits an viel zu vieles erinnert – aber er bezweifelte es. Die anderen konzentrierten sich viel zu sehr auf das, was kommen mochte, und nicht auf das, was womöglich gewesen war.
Doch Zahar Leichenscheu (vormals Saugersknecht), der ein Stück hinter seinem Gebieter flog, erinnerte sich nicht weniger als Nestor an diese Zeit. Er schirmte seine Gedanken ab, so gut er konnte, gewiss, aber dennoch erinnerte er sich ...
In der Saugspitze (die ihren Namen noch von ihrem einstigen Gebieter, Vasagi dem Sauger, hatte) war der Nekromant Lord Nestor Leichenscheu ziemlich bald in eine gewisse Routine verfallen, zunächst allerdings von einer Art, die nur er selbst kannte, und zudem noch reichlich merkwürdig für einen Lord der Wamphyri, vielleicht beinahe schon krankhaft. Zahar erinnerte sich noch genau daran, wie es dazu gekommen war:
Direkt unterhalb der Wrathspitze gelegen, die in der Tat die Spitze des Turmes darstellte und sich gut einen Dreiviertelkilometer über den Trümmern und dem Geröll erhob, war die Saugspitze die zweithöchste der gewaltigen Stätten des Felsenturms. Vor Vasagis ... Ableben ... und Nestors Aufstieg
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