Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
Gefühl schwächer geworden. Und da er annahm, dass es sich lediglich um eine zufällige Erinnerung handelte an Zeiten, die besser vergessen blieben – denn was konnte es anderes sein, nun, da Nestors Erzfeind nicht mehr war –, hatte er sein Bestes getan, es aus seinem Geist auszuschließen und nicht mehr daran zu denken.
Doch als die geballte Streitmacht der Wrathhöhe wie eine Schar von Schatten vor dem tieferen Schatten des Gebirges pulsierend vorwärts schoss, war es mit einem Mal wieder da gewesen und wirbelte stärker als jemals zuvor durch Nestors Vampirgeist! Denn war der Zahlenwirbel früher ungeordnet, chaotisch und scheinbar ohne Sinn gewesen, so war er nun zielgerichtet und schien einen Sinn zu haben.
Und doch, falls sein Erzfeind tatsächlich noch am Leben war, was ging dann hier vor? Denn erst hatte Nestor ihn nahe am Tor zu den Höllenlanden gespürt, und nun ... weit im Süden, in der Wüste jenseits der Wälder und der Savanne? Das ergab keinen Sinn. Kein Mensch (und schon gar nicht ein Toter) konnte an zwei Orten gleichzeitig sein!
Also hatte Nestor den Drang verspürt, seinem Gefolgsmann Zahar Vorhaltungen zu machen oder ihm zumindest ein paar Fragen zu stellen, und ihn längsseits befohlen, um leichter mit ihm sprechen zu können. Ein Stück abseits der Hauptstreitmacht glitten sie durch die Nacht, und ohne seinen hünenhaften grimmigen Leutnant auch nur eines Blickes zu würdigen, verlangte Nestor in seiner »sanftesten« Stimmlange zu wissen:
Zahar, bist du mir treu ergeben?
»Euch, mein Gebieter? Immer!« Zahar sprach die Worte laut aus, in der Gewissheit, dass Nestor sie auch über dem Getöse des Windes noch »hören« konnte. Aber obwohl er Nestors Frage bejahte, war doch seine Besorgnis geweckt. Er fragte sich, worauf Nestor wohl hinauswollte, ihm zu dieser Zeit und an diesem Ort eine solche Frage zu stellen.
Darauf hatte ihm der Nekromant über den luftigen Abgrund hinweg einen nachdenklichen, ja, missbilligenden Blick zugeworfen und, indem er seine blutroten Augen zusammenkniff, gefragt: Aber ... bist du mir jemals ungehorsam gewesen?
Zahar schüttelte voller Inbrunst den Kopf. »Niemals, mein Gebieter! Und dies wird auch niemals der Fall sein!«
Einen Moment lang hielt Nestor seinen Blick über die böigen Aufwinde hinweg fest, Auge in Auge in der Nacht, blutrot der Blick des einen, ein tierhaftes Gelb der des anderen. Und ihm war klar, dass sein Leutnant die Wahrheit sagte. Denn Zahar Leichenscheu fürchtete die Kunst seines Herrn und die Qualen, die dieser ihm nicht nur in dieser Welt, sondern auch in der nächsten zu bereiten vermochte. Noch nicht einmal die Toten waren vor Nestor sicher, einem Nekromanten, der sie folterte, damit sie ihm ihre Geheimnisse preisgaben, ihrem toten Fleisch Schmerz zufügte, als seien sie noch am Leben. Und im Verlauf der letzten vier, fünf Monate war Zahars Furcht sogar noch gewachsen, denn die Veränderung, die mit Nestor vorging, war so offensichtlich, dass Zahars früherer Gebieter, Vasagi der Sauger, im Vergleich dazu ein geradezu freundliches, ja, heiteres Wesen an den Tag gelegt hatte.
Als Zahar Nestor so anblickte – wenn auch nur flüchtig, denn es war nicht ratsam, einen Wamphyri zu lange oder zu offen anzustarren –, wie er nach vorn gebeugt im Sattel saß und sich leicht in den Wind lehnte, sah er einen Mann vor sich, der sich gewaltig verändert hatte. Noch vor zweieinhalb Jahren war er eins achtzig groß gewesen, und nun maß er beinahe zwei Meter zehn. Damals war er von der Sonne gebräunt gewesen, doch jetzt war er bleich von der Nacht, und seine Blässe kündete von seinem Zustand, denn sein Fleisch hatte die bleierne Farbe des Untodes angenommen. Seine Szgany-Augen waren von Natur aus dunkel gewesen ... aber nicht lange, höchstens für einen Tag, so rasch hatte die Verwandlung eingesetzt! Wamphyri, aye, und er war ein Naturtalent! Seine Augen leuchteten rot wie Glut.
Und doch ... vielleicht war es für ihn nicht ganz so »natürlich«, wie man auf den ersten Blick annehmen könnte. Denn er verhüllte sein graues Fleisch, als würde er sich dessen schämen, kleidete sich von Kopf bis Fuß ganz in Schwarz, sodass seine Augen über einer Maske aus schwarzem Tuch erglühten. Doch ob es nun Scham war oder Nichtwahrhabenwollen, selbst als soeben erst aufgestiegener Lord – über all dem Schmerz, der Frustration und der Ungewissheit der Verwandlung in einen Vampir –, hatte sich Nestor dennoch etwas von seinem Sonnseitenerbe
Weitere Kostenlose Bücher