Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
war sie ein düsterer, unheilschwangerer Ort gewesen, selbst nach den Maßstäben der Wamphyri Trübsinn erregend, mit einer ganz eigenen Aura ... oder vielmehr derjenigen des Saugers.
Vasagi war eiskalt gewesen und auch für seinesgleichen oftmals vollkommen unergründlich, ein wahres Ungeheuer. Er war das Opfer einer erblichen Knochenkrankheit, und als das Wachstum seiner Kiefer und Zähne das wandelbare Fleisch seines Gesichtes zu überwältigen drohte, hatte er sie einfach entfernt. Mit anderen Worten: Er hatte sich sämtliche Zähne aus seinem Oberkiefer gerissen, sich den Unterkiefer ausgehakt, sämtliches Fleisch von den widerspenstigen Knochen zurückgezogen und war ihrer so ledig worden. An ihrer statt hatte er sein Gesicht zu einem spitz zulaufenden blassrosigen Tentakel geformt, der vorn in eine bewegliche Nadelsaugspitze auslief, dem Rüssel einer Biene nicht unähnlich. Dies war eine Waffe, die er mit erstaunlicher Geschicklichkeit und auf die vielfältigste Weise zu führen vermochte. Er konnte sie noch in die winzigste Ader einsinken lassen, um Blut zu saugen, oder durch ein Trommelfell oder Auge tief in die Hirnwindungen eindringen, um zu vampirisieren, Anweisungen zu erteilen, zu verletzen oder zu töten.
Weil der Sauger sich selbst derart verstümmelt hatte, konnte er zwar nicht sprechen, doch hatte er seine Mimik und Gestik zu höchster Vollkommenheit verfeinert. Er war jedoch auch als Mentalist unübertroffen, sodass man ihn mittels seiner Gesten und seiner telepathischen Fähigkeiten stets verstand – sofern er dies wollte. Aber da Vasagi meist für sich und in seiner Stätte blieb, hatte er wenig Verwendung für Sprache gleich welcher Art, sondern zog die Abgeschiedenheit vor. Und gleichermaßen schien er einem kargen Leben den Vorzug zu geben.
Als Nestor zum Herrn der Saugspitze aufgestiegen war, nachdem Wran der Rasende Vasagi bei einem Duell auf der Sonnseite getötet (oder nur schwer verletzt?) hatte, war er entsetzt darüber gewesen, dass die Stätte weder über Licht noch Heizung verfügte, die Wasserversorgung unzureichend war und es überhaupt an jeder Annehmlichkeit mangelte. Die Vorrichtungen waren zwar allesamt vorhanden, aber weitgehend abgestellt oder verstopft worden, denn von derart gewöhnlichen Einrichtungen hatte Vasagi keinen Gebrauch gemacht. Und auch das Leben seiner Knechte, ob nun unerfahrene Vampire oder auch Leutnante, war karg. Und da Vasagi »stumm« war, waren auch sie schweigsam, sprachen nur das Nötigste und schlichen verschüchtert durch die Saugspitze.
Es mag zwar eine Tatsache sein, dass alle Vampirknechte ihre Herren fürchten, aber Vasagis Sklaven (und vor allem seine Sklavinnen) fürchteten ihn mehr; denn mit seinem absonderlichen Gesicht – den blutroten Augen und dem merkwürdigen Rüssel mit dem Saugstachel – wirkte er eher wie ein Insekt als ein Mann. In den Tagen vor ihrem Duell auf der Sonnseite hatte Wran der Rasende Vasagi oftmals verhöhnt, dass er seine Odalisken wohl nur von hinten bestieg, weil sie den Anblick seines Gesichts nicht ertragen konnten!
Nun, und nach dem Duell dürften sie seinen Anblick noch viel weniger ertragen können. Denn in einem Akt abscheulicher Gnadenlosigkeit hatte Wran Vasagi den Saugrüssel herausgerissen und anstelle eines Gesichts nur eine bluttriefende, klaffende Wunde hinterlassen. Nur dass die Vampirfrauen der Saugspitze dieses grässlichen Anblicks niemals gewahr werden würden, denn es war ein Kampf auf Leben und Tod gewesen ... oder hätte es zumindest sein sollen.
Doch wie dem auch sein mochte, Wran hatte den Sauger in der dunstigen Morgendämmerung der Sonnseite schwer verletzt in seinem Blut zurückgelassen, an einen südwärts gelegenen Hang des Vorgebirges gepflockt, um auf den Sonnenaufgang und damit einen qualvollen Tod zu warten. Seither hatte niemand in der letzten Felsenburg mehr etwas von ihm gehört oder gesehen. Und es vermisste ihn auch niemand, abgesehen vielleicht von der Lady Wratha, die ihn als Verbündeten betrachtet hatte ...
Doch in der Saugspitze – Nestor hatte seine Gründe, warum er ihr keinen neuen Namen gab – lebte Vasagis Aura weiter. Seine Leutnante waren weiterhin mürrisch und verschlossen und geizten sowohl mit Worten als auch im Gebrauch der Versorgungseinrichtungen ... eine Zeit lang zumindest, so lange, bis sie sich an Nestor gewöhnt hatten.
Aber schließlich hatte der junge Lord Leichenscheu all dies geändert. Er war keine kalte Kreatur, sondern ein Mann von der
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