Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
einem Korb in die Wälder tappen – von wo er nicht wiederkehrte. Ein Sonnseiten-Tag entsprach vier Tagen in der unbekannten Parallelwelt jenseits des Sternseiten-Tores. Doch als die Nacht anbrach, war Freiji noch immer nicht zurück.
An jenem Tag musste Radu eigenen Pflichten nachgehen, und Magda, seine Schwester, ebenfalls. Sie war mittlerweile zu einem wunderschönen jungen Mädchen herangewachsen, ebenso schön wie einst ihre Mutter. Als Radu endlich das Lager verließ und sich in die Wälder aufmachte, um seinen Vater zu suchen, konnte er nicht ahnen, dass es Magda – oder vielmehr ihre Schönheit beziehungsweise deren Verlust – sein sollte, die das Eisen in seinem Blut letztlich zu hartem, kaltem Stahl schmiedete.
Magda – und die Gebrüder Zirescu natürlich ...
Doch als er den Leichnam seines Vaters fand und feststellte, woran dieser gestorben war – nämlich mit Sicherheit keines natürlichen Todes, und es handelte sich auch nicht um einen Unfall –, wurde ihm mit einem Mal schlagartig alles klar!
Seit über einem Jahr machten die Zirescu-Brüder Magda nun schon den Hof (oder was sie so dafür hielten). Dabei war sie noch nicht einmal fünfzehn ...
Giorgio hatte gesagt, sie müsse sich endlich entscheiden ... doch Magda verschmähte beide; sie wusste, dass die beiden jedem Rockzipfel hinterherliefen und kein unverheiratetes Mädchen der Szgany Zirescu und mitunter selbst die verheirateten Frauen nicht in Ruhe ließen ...
Freiji, Magdas Vater, der natürlich auch ein Wörtchen mitzureden hatte, nahm den beiden Brüdern und ihrem Erzeuger den Wind aus den Segeln, indem er ihnen erklärte, Magda sei noch zu jung. Allerdings war es nicht ungewöhnlich, wenn ein Szgany-Mädchen sich bereits mit dreizehn einen Ehemann nahm, und Freiji war klar, dass er die Sache nicht endlos aufschieben konnte. Giorgio schäumte vor Wut, stieß Flüche und Drohungen aus! Er wollte Enkel haben (und zwar richtige Enkelsöhne, keine Bastarde), die seinen Namen weitertrugen. Freiji Lykan hatte gekatzbuckelt und gestottert, war aber keinen Millimeter von seinem Standpunkt gewichen ...
Die beiden Brüder hatten Magda verlacht und ihr eröffnet, sie werde entweder als alte Jungfer enden oder als Dirne, die es mit jedem trieb. Innerlich hatte Radu gekocht ...
Und nun dies:
Starr und tot lag Freiji vor ihm – ermordet und von Fliegen umsummt in einem Teil des Waldes, in den sich sonst so gut wie niemand verirrte. Sie hatten seinen Körper ins dichte Unterholz geworfen; Radu entdeckte den Leichnam, als eine verschreckte Füchsin davon wegsprang. Nachdem er ein kleines Feuer entzündet hatte, sah er auch, woran sein Vater gestorben war ... In Freijis schmalem Rücken steckte die abgebrochene Klinge eines langen Eisenholzmessers! Ein feiger Angriff aus dem Hinterhalt – typisch für die Gebrüder Zirescu. Und Freijis Weidenkorb war weg und von den Früchten und Nüssen, die er am Morgen doch unweigerlich gesammelt haben musste, nichts zu sehen ...
Wieder im Lager der Szgany Zirescu ging Radu geradewegs zum Hüter der Nahrungsvorräte, einem Mann namens Vorratswart Borisciu, und fragte ihn, ob heute jemand irgendetwas Essbares aus dem Wald mitgebracht habe. Radu hielt sich zwar sehr im Zaum, aber vielleicht sah Borisciu es ihm trotzdem an seiner Miene an. Jedenfalls beantwortete er Radus Fragen äußerst vorsichtig und sagte ihm, es sei ein ausnehmend guter Tag gewesen; aber das sei Radu doch sicherlich bekannt, schließlich sei er doch selbst mit auf der Jagd gewesen, oder nicht?
»Aus dem Wald«, wiederholte Radu, während er sein Gegenüber am Handgelenk packte. »Ich rede von Grünzeug, nicht von Fleisch, Vorratswart!« Und nun war Borisciu sich völlig sicher, dass er etwas Fremdes, Hartes, Kaltes in Radus Blick wahrnahm.
»Früchte, aye«, entgegnete er. »Aber liefern uns die Wälder denn nicht immer viel Gutes?« Und rasch, als wolle er das Thema wechseln, fügte er hinzu: »Und die Ausbeute an Fischen war wirklich außergewöhnlich! Ein guter Tag am Fluss, Radu! Wenn du das für dich behältst, findet sich vielleicht eine fette Forelle, die deine Schwester dir und deinem Vater zum Abendessen ...« Er hielt inne, weil ihm einfiel, dass irgendjemand ihm erzählt hatte, Freiji Lykan sei noch nicht zurückgekehrt.
»Früchte!« Radus Griff wurde fester, er hatte die Stimme zu einem Knurren gesenkt. »Erzähl mir von diesen Früchten, und den Nüssen. Hat irgendjemand Pflaumen, Äpfel und Mandeln mitgebracht? Einen
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