Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
Das Ungeheuer hielt eine brennende Fackel hoch und das Feuer spiegelte sich in seinen blutroten Augen.
Ihre Blicke begegneten sich und blieben aneinander haften ... Janos’ Lippen entblößten seine Zähne in einem grauenhaften Grinsen. Er sagte etwas ... doch der Necroscope vermochte ihn nicht zu hören, konnte die Drohung lediglich ahnen. Janos’ Blick wanderte von der Fackel in seiner klauenbewehrten Hand zum Fußboden. Harrys Blick folgte dem seinen zu einer flachen Rinne, die in den Felsen gemeißelt war. Sie führte von Janos’ Füßen quer über den Boden zur Spitze des Beckens. Langsam senkte Janos die Fackel!
Mein Gott! Harry musste sich des Möbius-Kontinuums bedienen – und vermochte es nicht! Seine Macht war ihm genommen! Er war nicht länger der Herr über die Möbius-Raum-Zeit! Das wusste er einfach, ohne dass ihm klar war, woher. Zwar verfügte er noch immer über die Fähigkeit zur Totensprache, aber ...
... zur Totensprache? Seit wann wurde dies denn so genannt? Doch nein, er durfte gar nicht erst versuchen, sich an etwas zu erinnern, was noch gar nicht eingetreten war! Am besten, er akzeptierte es einfach. Auch wenn ihm das Möbius-Kontinuum genommen war, hatte er immer noch seine Totensprache, die Fähigkeit, mit den Toten zu reden. Weshalb also keinen Gebrauch davon machen? Weshalb nicht die Große Mehrheit, die zahllosen Toten, danach fragen, was all dies zu bedeuten hatte?
Zu spät! Janos’ Fackel senkte sich herab. Ein Feuer loderte auf und breitete sich rasend schnell aus. Sengende Hitze fauchte in einer blauen Flammenzunge empor und blakte in den Schornstein über ihm. Flüssiges Feuer versengte Harrys Haare und Bart und setzte seine Kleidung in Brand.
Er sprang auf und hüpfte wie eine menschliche Fackel umher, bis er sich – diesmal wahrscheinlich zum Glück – abermals ein Stück weit in die Zukunft gerissen fühlte ...
... Er stand inmitten uralter Ruinen. Es war tiefste Nacht, und doch sah er alles wie am helllichten Tag! Es dauerte eine Weile, bis der Necroscope begriff, dass er nun ein Wechselbalg war, dass etwas Fremdes von ihm Besitz ergriffen hatte. Geduldig und doch voller Argwohn wartete er in den Trümmern der Burg Ferenczy, und zwar mit ... einem Toten! Mit Bodrogk, einem von den Toten erweckten thrakischen Krieger.
Einen flüchtigen Augenblick lang war Harry klar, weshalb sie sich hier befanden. So viel zumindest verrieten ihm seine hellseherischen Fähigkeiten. Wenig später kamen zwei Frauen von unten herauf. Die eine war Sofia, Bodrogks Eheweib, und dies seit Jahrhunderten. Sie flog ihrem Mann geradezu in die Arme. Beide, sowohl Bodrogk als auch Sofia, waren nicht mehr am Leben, sondern aus ihrer Asche wieder heraufbeschworen. Doch waren sie bei Weitem nicht so tot wie die andere Frau, Sandra, einst Harrys – und später Janos Ferenczys – Geliebte! Der Unterschied war nun unübersehbar.
Denn Sandra schwebte auf ihn zu in der Art der Vampirsklaven. Ihre gelben Augen leuchteten lebendig in der Nacht, aber Harry wusste, dass dies nicht mehr Sandra war. Weniger als sie, womöglich auch mehr. Einst hatte sie ihn geliebt oder ihn zumindest begehrt. Nun gierte sie nach allen Männern – oder doch nach deren Blut!
Sie warf sich in seine Arme und schluchzte an seinem Hals. Er hielt sie fest – musste sich an ihr festhalten, so wie sie sich an ihm. Er blickte über ihre bleiche Schulter und sah, wie Bodrogk seine Frau in die Arme schloss. Könnte er Sandra doch nur ebenso umarmen! Doch dies ging natürlich nicht. Sandras wunderschöner, halb nackter Körper presste sich kalt gegen den Necroscopen, und Harry wusste, es gab keinen Weg, wie er ihn je wieder wärmen konnte.
Sie spürte seinen Gedanken und wich ein wenig vor ihm zurück. Aber nicht weit genug. Sein dünner, spitzer Pflock, ein Span aus alter Eiche, drang unter der Brust in sie ein und durchbohrte ihr Herz. Sie holte noch einmal Luft, machte einen stolpernden Schritt von ihm weg und brach dann zusammen.
Bodrogk sah Harrys Qualen und übernahm den Rest. Und abermals erlebte Harry einen Zeitsprung ...
Diesmal war es anders, denn sein Traum-Selbst war nicht Teil des Geschehens; es stand vielmehr abseits und sah zu, was mit dem zukünftigen Harry geschah. Das war wahrscheinlich auch besser so, denn was er hier sah, war mit Sicherheit sein Ende. Und obwohl er in diesem Fall lediglich ein Beobachter war, begriff er doch wenigstens zum Teil, was hier vorging, und ... wünschte sich, dass es anders
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