Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
Zukunft zu werfen, mag gefährlich genug sein; aber den Versuch unternehmen, sich an etwas zu erinnern , das erst noch eintreten muss ...
Und doch hatte Harry einen flüchtigen Moment lang gewusst, dass Faethor Ferenczy ihn hierher geschickt hatte, dass er hier war, weil jener Urahn aller Vampire, jener Herr der Lügen, ihn hierher geführt oder ihm doch zumindest geraten hatte, herzukommen. Und nicht nur er, sondern auch ... Möbius? Aber aus welchem Grund? Offensichtlich war er auf der Suche – aber weshalb offensichtlich? Und wenn er sich auf der Suche befand, dann wonach, nach wem?
Er blickte sich um. Auf der einen Seite das Gebirge und auf der anderen die scheinbar endlose Geröllebene, und dazwischen das rätselhafte Tor, das sein kaltes, weißes Licht verströmte, vor dem sich die ringsum verstreuten, findlingsartigen Felsblöcke abhoben, die in unregelmäßigen Abständen konzentrische Schattenringe in die Sternseitennacht warfen.
Das Tor? Die Sternseite? Diese Worte, die Ideen dahinter, sagten ihm nichts ... oder doch? Was zum ...!?
Im Nordosten erspähte er in der Ferne hoch aufragende Felsenhorste, fantastische Felsformationen, gekrönt von ... Mauertürmchen? Von Türmen und Zinnen? Fugenlos aneinander gefügtes Mauerwerk? ... Oder erlag er nur der Täuschung einer fremdartigen Umgebung? Das wollte Harry nicht glauben, denn dort oben brannte Licht. Rauch kräuselte sich aus den hohen Schornsteinen und kleine schwarze Punkte, aus dieser Entfernung kaum auszumachen, umkreisten zielstrebig die höher gelegenen Stockwerke ...
Mit einem Mal wurde Harry sich dessen bewusst, dass er beobachtet wurde. Er duckte sich und wirbelte auf dem Absatz herum. Unweit von ihm stand auf der felsigen Ebene eine Gestalt, schlank, wahrscheinlich ein Mann. Sein Gesicht war golden und loderte im gleißenden Widerschein des Tores. Er hob eine Hand, winkte und sagte etwas, doch Harry vermochte ihn nicht zu hören. Es war ihm zwar gestattet, zu sehen , nicht aber zu verstehen ... die Zukunft hütete ihre Geheimnisse.
Harry war instinktiv klar, dass ihm hier keine Gefahr drohte, jedenfalls nicht von dieser Gestalt. Voll der sonderbarsten Empfindungen bewegte er sich auf den anderen zu. Doch so sehr er sich auch bemühte, kam er kaum vom Fleck. Es war zum Verrücktwerden. Er hatte keine Kontrolle über seine Bewegungen, sie waren zäh und gezwungen, eben ein Traum – oder vielmehr eine Vorahnung. Der Goldengesichtige fuchtelte aufgeregt mit den Armen herum und deutete zum östlichen Himmel. Harry sah hin.
Und nun erkannte er die Gefahr! Die kleinen Punkte, die die Felsenhorste umkreisten, waren zu dunklen Flecken geworden, die rasch zu grotesken Umrissen anwuchsen und sich von den Festen her aus dem Himmel herabsenkten ...
... von den Festen her?
Harrys Traum-Selbst zuckte vor diesem Wort zurück. Doch sein zukünftiges Selbst bewegte sich weiter auf den Herrn des Gartens zu.
... den Herrn des Gartens?
Zu guter Letzt akzeptierte er die Tatsache, dass es ihm nicht gegeben war, alles zu wissen, und konzentrierte sich darauf, zu dem Mann zu gelangen, der auf ihn wartete. Als er sich jedoch umblickte, sah er, dass die Wesen am Himmel rasch näher kamen. Sie glichen nichts, was er je zuvor gesehen hatte, noch nicht einmal in seinen schlimmsten Albträumen. Einer der Umrisse war geflügelt und hatte in etwa die Form eines Rochens. Der andere war ... ein Albtraum! Eine Kreatur von gigantischen Ausmaßen, die sich pulsierend durch die Luft stieß wie eine Qualle. Und nun konnte Harry auch sehen, dass die ihm zunächst fliegende Kreatur einen Reiter trug – Shaithis von den Wamphyri? –, und ihm war klar, dass die andere Bestie eines von dessen Geschöpfen war, nämlich ein Krieger.
Harry befand sich nun dicht vor dem Herrn des Gartens ... Shaithis schoss auf seinem Flugrochen aus dem Himmel herab ... Der Flügelschlag der gewaltigen Rochenschwingen wirbelte Staub und Steinchen auf, die Harry und dem Herrn des Gartens ins Gesicht flogen ... der Schatten der Kreatur fiel auf sie und verschluckte das Licht der Sterne!
Der Herr des Gartens schlug seinen Umhang zurück, Harry blickte ihn an, die goldene Maske, blickte in die blutroten Augen und den dahinter verborgenen Geist ... und wusste, dass er ihn kannte! Aber das war ausgeschlossen! Und so merkwürdig dies alles auch sein mochte, konnte er doch nicht anders, er trat oder vielmehr glitt in den Schutz des Umhangs und spürte, wie dieser sich um ihn schloss ...
... Das Bild
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