Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
würden. Denn natürlich handelte es sich um weit mehr als lediglich eine Audienz – es war gewissermaßen bereits ein Empfang für den frisch aufgestiegenen Lord Lykan. Shaitan hatte Radu gegenüber nicht erwähnt, dass auch die anderen maßgeblichen Lords – und mindestens zwei der Ladys – anwesend sein würden. Sie würden auf einer Einladung bestehen, nach außen hin wegen des Protokolls, in Wirklichkeit aber, um sicherzustellen, dass Shaitan nicht ohne ihr Wissen irgendwelche Abmachungen mit dem Fremden traf. Misstrauen gehörte bei den Wamphyri einfach zum Leben dazu ... oder vielmehr zum Untod.
Radu wusste noch immer nicht allzu viel über sie. Da Hengor anscheinend nicht vorhatte, seinem Leutnant einen weiteren Flugrochen zu schicken, nutzte Radu die langen Nachtstunden dazu, Emil Hagismann eingehend zu befragen, um sich mit den Sitten und Gebräuchen der Vampire vertraut zu machen. Seltsamerweise sagte ihm beinahe alles zu, was er über sie in Erfahrung brachte; nun, vielleicht nicht ganz so seltsam, schließlich war er selbst auch ein Wamphyri! Im Wesentlichen entsprachen sie tatsächlich dem, was er erwartet hatte – er war ja nicht anders beziehungsweise würde, wenn die Zeit reif war, ebenfalls so sein.
Sie waren stark, stolz, eitel, habgierig und heimtückisch, benahmen sich bestialischer als jedes Tier, grausamer als jeder Mensch und waren blutgieriger als der schlimmste Schlächter. Das wohl Merkwürdigste an ihnen war ihre Eitelkeit und wie sehr sie von sich eingenommen waren. Ein jeder von ihnen hielt sich für den »Größten« und »Schönsten« und sah sich selbst als absolut makellos – zumindest ohne nennenswerten Makel –, und Fehler begingen sie schon gar nicht! Jedwede Unzulänglichkeit schoben sie auf ihren Egel oder ihr »wertloses« Ei, während jeglicher Erfolg, so gering er auch sein mochte, natürlich ihren eigenen Anstrengungen entsprang. All dies in völligem Widerspruch zum sogenannten »Gesetz des freien Willens«, das ihr ganzes Tun und den Umgang mit ihresgleichen, ihren Knechten, Bestien und Opfern bestimmte. Da die Wamphyri selbst über keinen freien Willen verfügten, hatte die Ideologie beziehungsweise Vorstellung von der Freiheit und Selbstbestimmung anderer eine enorme Bedeutung für sie. Wenn schon ein schwacher Mensch Herr über sein eigenes Schicksal war, dann doch gewiss auch ein mächtiger Lord der Wamphyri? Das verstand sich doch von selbst ...!
Die Wamphyri waren blutgierige Bestien. Das Blut war das Leben, und das Leben konnte, soweit bekannt, ewig währen. Blut und Jugend gingen Hand in Hand. Wenn ein Lord wollte, konnte er sein »gutes Aussehen« bewahren, den Jahren ein Schnippchen schlagen und seine Manneskraft auf ewig behalten. Geringere Männer würden, nein, mussten unter seinem Biss zusammenschrumpfen und den wahren Tod erleiden, sofern nicht etwas von seiner Substanz in ihren Organismus gelangte. Geschah dies, standen sie als untote Vampire und Sklaven ihres Lords wieder auf; dieser hingegen brauchte keinen Wandel zu fürchten, es sei denn den, stärker zu werden (durch das, was seine Knechte einbüßten). Denn was seine Opfer verloren, war stets sein Zugewinn.
Menschen, die Szgany der Sonnseite und das, was sie hervorbrachten ... waren nur dazu da, benutzt zu werden, nichts als Marionetten, leere Gefäße, aus denen, als sei dies rechtens, alles, was das Leben zu bieten hatte, und das Leben selbst ebenfalls wohlfeil geholt beziehungsweise, was häufiger der Fall war, nach und nach ausgesaugt wurde. Die Wamphyri konnten keinerlei Unrecht begehen, zumindest nicht in ihren eigenen, blutroten und gierigen Augen, schließlich hatten sie so gut wie kein Gewissen! Vielleicht hatten sich die ersten paar Lords – mit Ausnahme von Shaitan – nach ihrer Verwandlung hin und wieder die Frage gestellt, wie es denn kam, dass sie, die doch einst Szgany gewesen waren, sich nun von ihren einstigen Verwandten ernährten und diese in Angst und Schrecken versetzten. Vielleicht machten sie sich Gedanken darüber ... allerdings nicht sehr oft. Denn solange sie unter dem Einfluss ihrer Parasiten standen, war der Wirtskörper nur das Werkzeug seines Egels und tat, was immer ihm dieser befahl ...
Als Nächstes erfuhr Radu einiges über die jeweiligen Lords und Ladys:
Über Shaitan den Ungeborenen, dessen Name daher stammte, dass er weder Vater noch Mutter hatte (jedenfalls erinnerte er sich nicht an sie) und anscheinend einfach den Vampirsümpfen entsprungen war ...
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