Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
dir nicht zu viel aufbürden dürfen. Damit will ich sagen, uns ist klar, dass du jeden ungelösten Mord, den wir je hatten, für uns aufklären könntest, ganz gewiss diejenigen Fälle, bei denen die Opfer ihren Mörder kannten. Das heißt ...«
»... wenn sie ihn kannten«, warf Harry ein, und Darcy war klar, dass er recht hatte. Schließlich war Harry der Necroscope und sprach mit den Toten. Für ihn hörte ein Mensch, wenn er starb, nicht einfach auf zu existieren. Sein Körper schon, gewiss, nicht aber der Geist. Und mittels seines Talents konnte Harry mit jenen körperlosen Wesenheiten Kontakt aufnehmen. Jeder normale Polizist brauchte Spuren und musste Beweise finden, um einen Mörder der Gerechtigkeit zuzuführen. Harry hingegen erhielt seine Hinweise stets »aus erster Hand«. Für ihn waren die Toten nicht, nun ja, von uns gegangen, zumindest nicht allzu weit, sondern lediglich ein bisschen ins Abseits getreten, als befänden sie sich nur im Zimmer nebenan, sodass er sich immer noch mit ihnen zu unterhalten vermochte. Er brauchte ein Opfer bloß zu fragen, wer ihm etwas angetan hatte!
... Nun, vielleicht war es nicht ganz so einfach. Nein, einfach bestimmt nicht! Das Talent, über das er verfügte, war nahezu einzigartig. Wäre Harry junior nicht auf die Welt gekommen, wäre es dies noch immer. Eben darin lag, kurz gesagt, das Problem: Wie setzt man ein einzigartiges Talent ein, um damit die bestmögliche Wirkung zu erzielen? Albert Einstein zum Beispiel würde ja auch niemand als Buchhalter einstellen! Und was machte man mit dem Necroscopen Harry Keogh? In einer Welt, in der brutale Morde und die Gräueltaten von Terroristen zum Alltag gehörten, könnte Harry darin leicht eine Lebensaufgabe finden. War er deshalb in diese Zeit hineingeboren? War dies der Sinn seines Daseins? Mehr nicht? Das konnte Darcy nicht glauben.
»Was ich sagen will«, fuhr er fort, »ist, dass niemand von dir – von uns, dem E-Dezernat – erwarten kann, dass wir der Polizei die Arbeit abnehmen. Na ja, zumindest nicht die ganze Arbeit. Ein bisschen was erledigen wir ja schon – die ganz großen Verbrechen und hin und wieder auch die scheußlichen Fälle, für die ganz einfach irgendjemand bezahlen muss . Und manchmal auch die ›dringenden‹ Angelegenheiten, wie die Sache vorhin in der Oxford Street. Vornehmlich aber sind wir Agenten ... Gedankenspione. Wir beschützen weniger den Einzelnen als vielmehr das ganze Land, unsere Lebensweise – ›die westliche Zivilisation‹, wenn man so will – vor den Kräften, die sie bekämpfen. Ich weiß, das hast du alles schon gehört, noch dazu von jemandem, der mit Worten weit besser umzugehen verstand als ich ...«
Harry nickte. Darcy meinte Sir Keenan Gormley, den ersten Leiter des E-Dezernats, der Harry damals rekrutiert hatte. Zufälligerweise handelte es sich dabei um so einen scheußlichen Fall. Grässlich war noch ein harmloses Wort dafür ... Boris Dragosani hatte Sir Keenan regelrecht abgeschlachtet! Aber wäre Sir Keenan nicht gewesen, hätte Harry nicht mit seinen Überresten gesprochen, hätte er wahrscheinlich niemals das Möbius-Kontinuum für sich entdeckt und in Alec Kyles hirntotem Körper auch nicht zu neuem Leben gefunden. Doch er musste endlich aufhören, es so zu betrachten! Alec Kyle war tot, er, Harry Keogh, hingegen ... sehr lebendig.
»Du befürchtest also, ich könnte diesen Job, den du mir anbieten möchtest, was es auch immer sein mag, für zu profan und unter meiner Würde halten. Du hast Angst, ich könnte meinen, dass es bloß ein Köder sei, um mich von anderen, weitaus persönlicheren Problemen abzulenken – und genau darum geht es ja wohl auch! Aber wir beide, du und ich, stehen auf derselben Seite, Darcy, und zwar in mehr als nur einer Hinsicht. Tatsache ist, ich brauche diesen Job, ganz egal, worum es sich handelt. Das ist auch der Grund, weshalb ich mich vorhin in der Oxford Street eingemischt habe – ja, ich weiß, gegen deinen ausdrücklichen Ratschlag –, weil es mal etwas anderes war ... Na ja, einer der Gründe! Okay, der Job, von dem du sprichst, ist also nichts besonders Großartiges. Aber wenigstens habe ich dann etwas zu tun! Kann ich mir zumindest vorstellen! Und du dir wahrscheinlich auch, nehme ich an. Also, warum reden wir dann nicht einfach weiter?«
Darcy nickte, er schien erleichtert. »In Ordnung! Aber ich habe die Polizei nicht zufällig erwähnt. Diesmal haben sie uns tatsächlich um Hilfe gebeten. Oh, wir bekommen viele
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