Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
Straße ruckte, raste ein dunkler Wagen heran – tiefer gelegt, schnell, gefährlich – und durchbrach in einem Gewirr aus verbogenem Metall die Absperrung. Die beiden Fahrzeuge stießen zusammen; Darcys Wagen wurde zurück auf die Verkehrsinsel geschleudert, das Schurkenauto prallte ab, brach durch zwei Poller, schoss auf den Randstein und landete mit dem Kühler voran in einem Schaufenster. So würde Sean Milligan seine Flucht nicht bewerkstelligen.
Sean Milligan war dies ebenfalls klar. Jetzt wurde es Zeit, die irrsinnige Logik des totalen Terroristen anzuwenden. Wegen der vielen Menschen auf der Straße konnte der Scharfschütze auf dem Dach es nicht riskieren, zu schießen. Sean musste seine Reisetasche loswerden, und zwar innerhalb der nächsten zwanzig Sekunden, und dann rennen, als sei der Teufel hinter ihm her; doch zunächst musste er zusehen, dass die Leute ihm nicht den verdammten Weg versperrten, und er konnte sie unmöglich alle erschießen. Er richtete seine Waffe auf die Brüstung, hinter die sich der Scharfschütze duckte, zog den Abzug durch und verpasste dem Gebäude eine saubere Stichnaht aus Kugeln. Während die umherwuselnde Menge verzweifelt in Deckung hastete, suchte Sean sich sein Ziel. Dies fiel ihm nicht weiter schwer, denn im Grunde gab es nur ein einziges: die Innenstadt selbst, und dazu ein Haufen offensichtlich hoher Beamter und Polizeioffiziere.
Mittlerweile dürfte er eigentlich schon nicht mehr am Leben sein, auch dies war ihm klar. Und das konnte nur bedeuten, dass sich in unmittelbarer Nähe keine bewaffneten Polizisten befanden. Vielleicht hatte er also doch eine Chance ... sofern ihm noch ein paar Sekunden blieben.
Keuchend und schweißüberströmt rannte er fluchend auf die Gruppe auf der Verkehrsinsel zu, um, wie ein Diskuswerfer um die eigene Achse wirbelnd, seine Reisetasche zu schleudern. Dies war der Moment, in dem er Harry Keogh erblickte. Harry war auf die Straße getreten und stellte sich zwischen seine Freunde und Sean Milligan. Sean stand kurz davor, seine Drehung zu vollenden. Im Begriff, die todbringende Reisetasche loszulassen, drückte er den Abzug, und seine Waffe spie einen ungezielten Feuerstoß.
Harry hatte diese Reaktion kommen sehen und zwischen sich und Milligan bereits ein Möbiustor heraufbeschworen. Ein paar verirrte Kugeln zischten an ihm vorüber, doch im Großen und Ganzen begrenzte das Tor, das niemand außer dem Necroscopen zu sehen vermochte, den Bereich, den Sean bestrich. Ein Großteil der Salve passierte einfach die Schwelle und verschwand aus diesem Universum. Unterdessen nahm der Scharfschütze oben auf dem Dach Milligan ins Visier und feuerte einen hastigen Schuss ab.
Der IRA-Mann stolperte und stürzte, in die Hüfte getroffen, mitsamt seiner Reisetasche der Länge nach hin. Geradewegs in Harrys Tor!
Der Necroscope wusste, was jetzt zu tun war. Wenn er das Tor einfach in sich zusammensinken ließ, würde es eine Menge unangenehmer Fragen geben, schließlich löste sich niemand einfach so mir nichts, dir nichts in Luft auf. Doch vor Harrys geistigem Auge stand bereits unverrückbar ein Bild, das ihm die Lösung präsentierte. Er ließ das Tor zur Seite kippen. Ihm blieben noch drei Sekunden.
Sein Geist rang mit den fremdartigen, metaphysischen Gleichungen ... und siegte! Als hinge die Tür mit der Oberkante an einem Scharnier, schwenkte sie um neunzig Grad aufwärts in die Horizontale und der Necroscope warf sich zurück, nur weg davon, während die Bombe hochging!
Fünfzehn Pfund Semtex im Möbius-Kontinuum, an einem Ort, an dem sogar Gedanken Gewicht hatten und schon ein einziges gesprochenes Wort ohrenbetäubend hallte. Und nichts als der schwache Körper eines Menschen, mochte dieser auch noch so brutal sein, um die Druckwelle aufzufangen. Bis auf einen kleinen Unterschied war alles fast genauso, wie Harry es einen Sekundenbruchteil lang in seiner Vision in Darcy Clarkes Büro erlebt hatte. Der Unterschied bestand in dem Lärm. Denn obwohl das Möbius-Kontinuum die Explosion ablenkte, war doch ein gedämpftes Grollen zu vernehmen, als sich der substanzlose Rahmen des Tores erst durchbog, dann verzog und schließlich von einem Moment auf den anderen einfach verschwand.
Zuvor jedoch entließ das Möbius-Kontinuum noch einen grauenvollen Schwall feuchter, roter, stinkender menschlicher Überreste. Sie wurden herausgeschleudert wie bei einem Vulkanausbruch. Hirnmasse, schleimige Eingeweide und zerschmetterte Knochen spritzten gegen
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