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Nekropole (German Edition)

Nekropole (German Edition)

Titel: Nekropole (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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rein zufällig auch die Fackel löschte. Panik stieg in ihm auf, doch er richtete den Blick nach vorn, auf das graue Licht, und benutzte es wie einen Schild, an dem die Furcht abprallte.
    »Ich frage mich, was das alles einmal war«, murmelte Abu Dun, vermutlich nur, um überhaupt etwas zu sagen und die Stille nicht übermächtig werden zu lassen, die hier unten eine schon fast stoffliche Qualität annahm, die jeden Eindringling zu ersticken drohte. »Besteht diese ganze Stadt eigentlich nur aus Geheimgängen? Wovor hatten die Leute nur solche Angst?«
    »Die Katakomben?« Andrej sah sich demonstrativ um, obwohl Abu Dun die Bewegung in der fast vollkommenen Dunkelheit kaum sehen konnte. Er zuckte mit den Schultern. »Ich bin nicht sicher … aber ich glaube, am Anfang waren es einfach nur Steinbrüche. Irgendwoher müssen all die Steine ja gekommen sein, aus denen sie diese riesige Stadt gebaut haben. Die Gräber und geheimen Kirchen und so weiter sind erst später dazugekommen.« Nur nicht das, was vielleicht schon eher hier gewesen war. Vielleicht hatte es in der Erde geschlummert und war von den labyrinthischen Sälen und Katakomben aus einer Ruhe gerissen worden, die besser ewig gedauert hätte.
    Als Abu Dun stehenblieb, prallte Andrej gegen ihn. Aber dafür war er beinahe dankbar, war die Furcht doch gerade dabei gewesen, sich auf Umwegen zurück in seine Gedanken zu schleichen. Ein metallisches Geräusch erklang, als Abu Duns Schwert aus der Scheide glitt. Er nahm einen nur allzu vertrauten Geruch wahr, noch bevor Abu Dun es aussprach. »Blut.«
    Andrej zog ebenfalls seine Waffe, obwohl er sehr sicher war, dass er sie nicht brauchen würde. Wäre hier unten irgendetwas gewesen – ganz gleich, ob tot oder lebendig –, das auf sie lauerte, hätten sie es längst bemerkt.
    Aber etwas
war
hier gewesen, und es war noch nicht allzu lange her. Abu Dun eilte nur wenige Schritte voraus und ließ sich dann auf ein Knie sinken. Andrej lief ihm nach. Im grauen Licht, das schräg von oben hereinfiel, erkannte er eine Lache aus erst halb geronnenem Blut am Boden. Sie war noch warm und ziemlich groß. Wenn es nicht etwas wirklich Großes gewesen war, das hier geblutet hatte – etwas deutlich Größeres als etwa eine Ratte –, dann standen seine Aussichten nicht besonders gut, noch am Leben zu sein.
    Warum weigerte er sich, sich einzugestehen, dass es
menschliches
Blut war? Der Geruch war doch unverkennbar.
    »Das sieht nicht gut aus.« Abu Dun stand auf. »Jetzt sind es zwei.«
    »Das ist nicht gesagt«, antwortete Andrej nervös. »Hier kann alles Mögliche passiert sein. Vielleicht ein Tier. Oder er ist ihm entkommen.«
    »Natürlich«, sagte Abu Dun. »Und außerdem ist der neue Papst in Wahrheit ein überzeugter Moslem, der als erste Amtshandlung aus allen Kirchen in Rom Moscheen machen wird und neben dem Petersdom ein tausend Fuß hohes Minarett errichtet.«
    Andrej ging wortlos an ihm vorbei und folgte der noch warmen Blutspur, die sich für ein paar Schritte mit dem schwarzen Sekret des toten Mannes vermischte und sie schließlich verschlang.
    »Da oben ist etwas.« Abu Duns Schwert wies eine steile Treppe hinauf, die dreißig oder vierzig Schritte maß, wenn nicht mehr. Auch darüber war nur die gewölbte Decke eines weiteren Gangs zu erkennen, aber sie wurde von blassem Tageslicht beschienen, nicht von rotem Fackelschein. Auch Andrej hörte jetzt die Stimmen. Sie klangen aufgeregt, aber es war unmöglich zu sagen, ob sie sich etwas zuriefen, stritten, oder ob es gar die Geräusche eines Kampfes waren.
    »Bleibt hinter mir, Sahib«, sagte Abu Dun. »Euer starker Mohr wird auf euch achtgeben.«
    Er eilte los, bevor Andrej etwas erwidern konnte, zwei, manchmal drei Stufen auf einmal nehmend. Andrej folgte ihm dichtauf, auf das Schlimmste gefasst, doch alles, was sie am oberen Ende der Treppe erwartete, war ein weiterer leerer Gang. Die Blutspur war verschwunden. Die Wände waren nicht mehr aus dem gewachsenen Fels herausgehauen, sondern aus halbmetergroßen Quadern gemauert.
    »Das hier muss –«, begann Andrej, und Abu Dun stieß so schnell, dass er die Bewegung nicht einmal sah, die geballte Eisenfaust in seine Richtung. Seine Wange brannte, als das schwarze Metall daran entlangschrammte, bevor es mit einem matschigen Laut in irgendetwas unmittelbar neben seinem linken Ohr klatschte, das mit einem widerwärtigen Geräusch auseinanderbarst und sein Gesicht mit klebrigem warmem Schleim besudelte. Er roch

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